Tokio Killer - 02 - Die Rache
Killern verabreicht, um sie ruhig zu stellen, nachdem sie getötet haben. Was ich mache, ist nicht schlimmer als das, was überall in der Welt geschieht, was schon immer geschehen ist. Der Unterschied ist bloß, dass ich mir nichts vormache.»
Ich schwieg eine Weile, überlegte.
«Und ein bisschen Nachsicht wäre auch nicht schlecht», sagte ich. «Ihr alter Herr wäre sowieso bald an Lungenkrebs gestorben, unter sehr viel größeren Schmerzen, als ich ihm bereitet habe. Ich meine, ich habe ihm doch praktisch einen Gefallen getan. Herrje, in manchen Kulturen würde das, was ich getan habe, vielleicht noch unter Sterbehilfe laufen. Sie müsste mir schon fast dankbar dafür sein.»
Ich hatte mir mein Leben in Osaka gut eingerichtet, einigermaßen gut. Wenn ich jetzt zurückblickte, hatte ich das Gefühl, dass das alles seit Tatsus Auftauchen mehr und mehr in sich zusammenbrach.
Ich dachte daran, ihn auszuschalten. Es gab zwar genug Gründe, warum ich das nicht wollte. Das Problem war nur, er verhielt sich allmählich so, als wüsste er, dass ich das nicht wollte, und das war nicht gut.
Ich musste zurück nach Osaka, meine Vorbereitungen so schnell wie möglich abschließen und verschwinden. Tatsu kam allein klar. Harry war ein hoffnungsloser Fall. Midori hatte erfahren, was sie erfahren wollte. Naomi war lieb, aber sie hatte ihren Zweck erfüllt.
Ich stand auf. Meine Beine waren von der kalten Erde steif geworden, und ich massierte sie, um den Kreislauf wieder in Gang zu bringen. Ich verneigte mich vor dem Grab meines Vaters, blieb stehen und betrachtete es lange.
«Jaa», sagte ich schließlich. «Arigatou.»
Ich drehte mich um und ging.
15
A M NÄCHSTEN M ORGEN suchte ich mir eine Telefonzelle und rief Harry an. In den letzten Jahren hatte er viel für mich getan, und die Art, wie wir uns verabschiedet hatten, tat mir Leid. Ich wusste, es lag ihm auf der Seele, und das lag mir auf der Seele.
Eine unbekannte männliche Stimme meldete sich. «Moshi moshi?»
«Moshi moshi», sagte ich, und meine Stirn legte sich in Falten. «Haruyoshi-san irrashaimasu ka?» Ist Haruyoshi da?
Kurzes Schweigen am anderen Ende. «Sind Sie ein Freund von Haruyoshi?», fragte die Stimme auf Japanisch.
«Ja. Ist alles in Ordnung?»
«Ich bin Haruyoshis Onkel. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er letzte Nacht verstorben ist.»
Ich packte den Hörer fester und schloss die Augen. Ich dachte an das Letzte, was er zu mir gesagt hatte: Ich treffe mich heute Abend mit ihr. Ich werde besser aufpassen. Ich werde dran denken, was du gesagt hast.
Oh ja, er hatte sich mit ihr getroffen. Aber er hatte nicht besser aufgepasst.
«Entschuldigen Sie die Frage», sagte ich, die Augen noch immer geschlossen, «aber würden Sie mir vielleicht sagen, wie Haruyoshi gestorben ist?»
Wieder kurzes Schweigen. «Anscheinend hatte Haruyoshi ein bisschen zu viel getrunken und ist dann nach oben aufs Dach gegangen, um frische Luft zu schnappen. Vermutlich ist er zu nah an den Rand getreten und hat das Gleichgewicht verloren.»
Ich umklammerte den Hörer noch fester. Harry hatte kaum einen Tropfen angerührt. Und schon gar nicht exzessiv getrunken. Obwohl mir klar war, dass er wahrscheinlich alles mögliche Neue ausprobiert hätte, wenn Yukiko ihn dazu ermunterte.
«Ich danke Ihnen», sagte ich zu der Stimme. «Ich möchte Ihnen meine Anteilnahme aussprechen. Bitte überbringen Sie auch Harrys Eltern mein Beileid. Ich werde ein Gebet für seinen Geist sprechen.»
«Danke», sagte die Stimme.
Ich legte auf.
Ich blieb einen Moment stehen, fühlte mich elend und verlassen.
Sie hatten das von ihm bekommen, was sie wollten. Jetzt räumten sie auf.
Jetzt konnte ich nichts mehr für ihn tun. Ich hatte versucht, ihm zu helfen, als es noch möglich war. Jetzt war es zu spät.
In gewisser Weise war es meine Schuld. Ich hatte gewusst, dass Yukiko für ihn gefährlich war, aber ich hatte ihm nur meinen Verdacht mitgeteilt. Statt ihn darauf anzusprechen, hätte ich einfach einen kleinen Unfall für sie arrangieren sollen. Harry hätte getrauert, aber er wäre noch am Leben.
Ich merkte, dass ich mit den Zähnen knirschte, und gebot mir selbst Einhalt.
Ich dachte daran, wie glücklich er gewirkt hatte, als er mir zum ersten Mal von ihr erzählt hatte, wie schüchtern und albern und bis über beide Ohren verliebt.
Ich erinnerte mich daran, wie dieses eiskalte Miststück Murakami abwechselnd geneckt und umgarnt hatte. Dass Naomi gesagt hatte, sie sei
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