Tokio Killer - 02 - Die Rache
zu Dingen bereit, die sie selbst nicht mache.
Ich stellte mir vor, wie sie ihn, der nicht an Alkohol gewöhnt war, mit Drinks abfüllte. Ich stellte mir vor, wie er ihr zuliebe mitmachte. Ich stellte mir vor, wie sie vorschlug, auf dem Dach frische Luft zu schnappen. Wie Murakami dort schon wartete.
Oder vielleicht hatte sie es selbst getan. Es war bestimmt nicht schwer gewesen. Sie war öfter in dem Gebäude gewesen, sie kannte die Rhythmen, die üblichen Abläufe, wusste, wo die Überwachungskameras hingen. Und er vertraute ihr. Selbst nach dem, was ich ihm erzählt hatte, hätte er in betrunkenem Zustand nicht gezögert, an den Dachrand zu gehen. Vielleicht aus einer albernen Laune heraus. Vielleicht als Mutprobe.
Ohne nachzudenken, riss ich den Hörer von der Gabel und hob ihn über den Kopf, um ihn auf das Telefon zu schmettern. Ich blieb einen langen Moment so stehen, den Arm angewinkelt, am ganzen Körper zitternd, und beschwor mich, nicht durchzudrehen, kein Aufsehen zu erregen.
Schließlich legte ich den Hörer wieder auf die Gabel. Ich schloss die Augen und atmete tief ein, dann wieder aus. Noch einmal. Und noch einmal.
Ich ging zu einem anderen Telefon und rief Tatsu an. Ich sagte, er solle in unserem Bulletin Board nachschauen, weil ich ihn sehen wollte. Dann ging ich in ein Internetcafé, um ihm zu schreiben wann und wo.
Wir trafen uns im Café Peshaworl, ein weiteres Lieblingslokal von mir in meiner Tokioter Zeit, einer Mischung aus Café und Bar im Geschäftsviertel Nihonbashi.
Ich kam zu früh, wie immer, und ging die Stufen von der Sakura-dori hinunter in den ruhigen und gedämpften Raum. Das Peshaworl hatte die Form eines doppelten T-Trägers, und ich setzte mich in einer der kurzen Querseiten ganz in die Ecke, sodass ich vom Eingang nicht gesehen werden konnte, ja, nicht mal von der Bar aus, mit ihrer roten Stahlwaage zum exakten Abwiegen der Kaffeebohnen und mit den seltsamen Geräten, die so ungewöhnlich aussahen, dass sie einschüchternd wirkten, und deren korrekter Einsatz nur den Eingeweihten bekannt war, obwohl sie sicherlich ausschließlich zur Zusammenstellung der vorzüglichsten Kaffeemischungen dienten.
Ich bestellte die Roa-Hausmischung und lauschte Monica Borrfors, die August Wishing sing, während ich auf Tatsu wartete. Kurz nach zwölf hörte ich, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, gefolgt von Tatsus vertrautem, bedächtig schlurfendem Gang. Einen Moment später schob er seinen Kopf um die Ecke und sah mich. Er kam zu mir und setzte sich so, dass wir im rechten Winkel nebeneinander saßen und uns sehr vertraulich unterhalten konnten. Er brummte eine Begrüßung und sagte dann: «Nach deinem kürzlichen Treffen mit Kawamura-san kann ich nur annehmen, dass du mir entweder danken oder mich umbringen willst.»
«Deshalb wollte ich dich nicht sprechen», erwiderte ich.
Er verstummte und sah mich an.
Die Kellnerin kam und fragte ihn, was er wünsche. Er bestellte einen Milchtee, wohl eher ein Zugeständnis an seine Umgebung als echtes Verlangen.
Während wir auf den Tee warteten, sagte er: «Ich hoffe, du verstehst, warum ich getan habe, was ich getan habe.»
«Klar. Weil du ein intriganter, fanatischer Hund bist, der glaubt, dass der Zweck stets die Mittel heiligt.»
«Jetzt redest du wie meine Frau.»
Ich lachte nicht. «Du hättest Midori nicht wieder reinziehen sollen.»
«Das hab ich nicht. Ich hatte gehofft, sie würde glauben wollen, dass du tot bist. Wenn sie es hätte glauben wollen, hätte sie es geglaubt. Wenn sie es nicht glauben wollte, würde sie Nachforschungen anstellen. Sie ist ziemlich hartnäckig.»
«Sie hat mir erzählt, dass sie dir mit einem Skandal gedroht hat.»
«Wahrscheinlich ein Bluff.»
«Sie blufft nie, Tatsu.»
«Wie dem auch sei. Ich habe ihr gesagt, wo sie dich finden kann, weil es sinnlos geworden war, ihr etwas vorzumachen. Sie hat sich nichts vormachen lassen, genauer gesagt. Außerdem dachte ich, die Begegnung mit ihr würde dir gut tun.»
Ich schüttelte den Kopf. «Hast du wirklich geglaubt, sie könnte mich überreden, dir zu helfen?»
«Selbstverständlich.»
«Warum?»
«Du weißt, warum.»
«Tatsu, hör auf, mich manipulieren zu wollen.»
«Also schön. Bewusst oder unbewusst möchtest du ihrer würdig sein. Das kann ich gut nachvollziehen, denn Kawamura-san ist eine bewundernswerte Frau. Aber vielleicht stellst du es falsch an, und ich wollte dir die Gelegenheit geben, das zu erkennen.»
«Du
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