Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Surawong Road, vorbei an etlichen Läden, die für Internet-Zugang und Überseetelefonate warben. Die meisten davon waren winzige Räume in größeren Gebäuden, die vermutlich leer gestanden hatten, bis das Internet kam und die Möglichkeit eröffnete, mit nur einem halben Dutzend Tischen und Stühlen und ein paar PCs Profit zu machen. Bald fand ich einen Laden, der mir äußerlich zusagte, in einer kleinen Ecke im Erdgeschoss eines glitzernden Gebäudes der Bank of Bangkok, wo er sich regelrecht zu verstecken schien. Drinnen waren zehn PCs. An einigen von ihnen saßen Frauen, die auf mich den Eindruck von Barmädchen machten. Vielleicht schrieben sie gerade E-Mails an irgendwelche farang-Kunden, die so blöd waren, ihre Adressen zu verraten, und erzählten ihnen austauschbare Geschichten von kranken Müttern und sterbenden Wasserbüffeln oder irgendwelchen anderen Gründen, weshalb sie dieses eine Mal, so peinlich es ihnen auch war, den farang um Dollars oder Pfund oder Yen bitten mussten. Ich suchte mir IOI einen Tisch, an dem ich mit dem Rücken zur Wand saß. Die jungen Frauen, die mit ihrer Korrespondenz beschäftigt waren, würdigten mich kaum eines Blickes.
Bevor ich online ging, lud ich von einer Speicherseite, die ich angelegt habe, eine kommerzielle Software herunter und überprüfte, ob der PC von einem Tastaturspion oder sonstiger Spyware überwacht wurde. Als ich mich vergewissert hatte, dass er sauber war, öffnete ich mit keiner größeren Hoffnung als sonst das Bulletin Board, das ich mit Delilah eingerichtet hatte.
Doch diesmal war eine Nachricht da. Mein Herz machte einen kleinen Sprung.
Ich gab mein Passwort ein und klickte die Nachricht an. Die Nachricht lautete: Ich hab ein paar Tage frei. Und du? Darunter stand eine Telefonnummer, die mit 0033-1 anfing - die Landesvorwahl von Frankreich und die Ortsvorwahl von Paris.
Verdammt. Ich blickte mich kurz um, eine reflexartige Reaktion, weil mein Gefühl des Alleinseins unerwartet gestört worden war. Die Frauen tippten resolut vor sich hin, die Augen voller Berechnung und Hoffnung.
Ich sah wieder auf den Bildschirm. Die Nachricht war am Vortag abgeschickt worden. Ich notierte mir die Nummer mit meiner üblichen Verschlüsselung, verließ das Bulletin Board und löschte im Browser sämtliche Aufzeichnungen der von mir aufgerufenen Seiten.
Ich stand auf und ging hinaus auf die Silom Road. Mein Herz raste, aber mein Verstand hatte sich nicht abgeschaltet. Es konnte kein Zufall sein, dass sie sich ausgerechnet jetzt meldete. Wahrscheinlich hatte es irgendwas mit der Manny-Operation zu tun. Aber ganz sicher war ich mir nicht.
Ich blieb stehen und dachte: Du bist dir nicht sicher? Was zum Teufel ist bloß los mit dir?
Ich habe nie an Zufälle geglaubt, nicht bei solchen Dingen. Klar, mag sein, dass es Zufälle gibt, aber man verhält sich besser so, als gäbe es keine. In den meisten Fällen stellt sich dann heraus, dass ein vermeintlicher Zufall doch keiner war. Die Skepsis hilft einem, zu überleben. Und wenn man sich geirrt hat, und es war doch ein Zufall? Na, wo liegt der Nachteil? Es gibt keinen.
Aber jetzt gab es anscheinend doch einen Nachteil, und mir war, als würde mein Verstand versuchen, meine Weltsicht entsprechend zu verbiegen. Was ich glauben wollte, spielte keine Rolle. Entscheidend war, was ich glauben musste.
Dann ignorier die Nachricht! Ruf sie nicht an! Wenigstens nicht, bis du die Sache mit Manny in Ordnung gebracht hast.
Der Gedanke war deprimierend. Sogar schmerzhaft.
Dox wusste es nicht, und ich würde es ihm auch nicht sagen, aber seine Frage, wann ich das letzte Mal »anständigen Sex« hatte, war bei mir nicht ohne Wirkung geblieben. Ja, ich gönne mir ab und an eine Entspannung gegen Bezahlung. Man muss schließlich auf seine körperlichen Bedürfnisse achten. Aber etwas Richtiges, etwas, das sich wirklich lohnte? Nicht seit Delilah, und vor ihr hatte es auch nicht viele gegeben.
Woher sollte ich wissen, worum es hier ging und was sie im Sinn hatte, wenn ich mich nicht mir ihr traf? Vielleicht hatte sie ja die Informationen, die ich brauchte, um wieder an Manny ranzukommen. Vielleicht konnte sie mir auch sagen, wie ihre Leute die Ereignisse in Manila
einschätzten, was sie diesbezüglich planten. Ja, es gab Risiken. Aber die gibt es immer. Und ich konnte die Risiken kontrollieren. Wie immer.
Mein Bauch sagte mir, dass es sich lohnen würde, es drauf ankommen zu lassen. Einen Augenblick fürchtete ich, ich könnte
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