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Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen

Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen

Titel: Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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gleiche Wirkung erzielt. Entweder war er sehr mutig oder sehr dumm oder sehr schwerhörig. Was auch immer die Erklärung war, er versperrte mir jetzt den Weg.
    Ich hatte das Messer in meiner Hand bereits so gedreht, dass die Klinge unter Handgelenk und Unterarm versteckt war. Trotzdem hatte Mr. Schwerhörig wohl nicht gut aufgepasst, sonst hätte er zwei und zwei zusammengezählt: Ich hielt etwas in der Hand, etwas, das seinen Partner soeben wie einen Eunuchen hatte aufkreischen lassen, und dieses Etwas war vermutlich scharf und spitz. Oder aber die Erklärung dafür, dass er nicht genau wie seine Kumpel zögerte, war tatsächlich Dummheit, denn man muss schon ganz schön dumm sein, wenn man sich unbewaffnet auf einen Messerkampf einlässt.
    Er blieb einen Meter vor mir stehen und hob die Fäuste, als wollten wir miteinander boxen. Ich bemerkte halb im Unterbewusstsein die Narben um seine Augenbrauen und den Knick in der offensichtlich schon mal gebrochenen Nase, und begriff: Muay Thai - die Burschen waren Thaiboxer.
    Ich nahm bei ihm eine leichte Gewichtsverlagerung wahr, ein festeres Aufstellen des linken Beines, und schon schnellte sein rechtes Schienbein auf meinen rechten Oberschenkel zu. Schienbeinkicks von Thaiboxern können hart wie Baseballschläger sein, und wenn ich den Kick nicht vorausgeahnt und nicht den Bruchteil einer Sekunde Zeit gehabt hätte, mich darauf einzustellen, hätte er mein Bein unter mir weggekickt. Und dann hätte ich mich gegen drei Männer oder vielleicht mehr vom Boden aus wehren müssen.
    Aber ich hatte diesen Sekundenbruchteil. Ich nutzte ihn, um mich minimal nach vorn in den »Sweet Spot« des Kicks zu bewegen und in die Knie zu gehen, damit meine Hüfte die Hauptwucht abfing. Als das Bein auftraf, schlang ich meinen linken Arm um die Wade, um es festzuhalten. Er reagierte sofort: Er packte meinen Kopf, nutzte das Bein, das ich umklammert hielt, als Hebel und sprang hoch und auf mich zu, um mit dem linken Knie mein Gesicht zu treffen, so wie er es bestimmt unzählige Male im Ring gemacht hatte.
    Aber im Ring sind keine Messer erlaubt. Wären sie erlaubt, wäre Thaiboxen auch nicht mehr das, was es mal war.
    Ich hob den rechten Arm und zog den Kopf ein. Das Knie traf meinen Unterarm. Es tat weh, vor allem auch wegen der Prellungen, die Delilah mir verpasst hatte, aber immer noch besser als ein gebrochener Kiefer. Als er das Bein wieder auf den Boden setzten wollte, packte ich das Messer wie einen Eispickel, mit der Klinge nach unten, und stieß es ihm in die Innenseite des rechten Oberschenkels, direkt an der Nahtstelle zum Becken. Im Eifer des Gefechts und vollgepumpt mit Adrenalin merkte er anscheinend nicht, was geschehen war. Doch dann zog ich es nach unten und zurück und schlitzte dabei seine Oberschenkelarterie und noch einiges andere Wertvolle in der Gegend auf, und das spürte er sehr wohl. Er brüllte auf und wich ruckartig von mir weg. Ich fegte mit einem abgewandelten O-Uchi-Gari, einem Judowurf, sein intaktes Bein unter ihm weg und ließ ihn los, weil ich nicht riskieren wollte, dass er mich mit sich zu Boden zog.
    Ich drehte mich den beiden anderen Burschen zu und sah erleichtert, dass sie zurückwichen. Sie hatten inzwischen mitbekommen, dass ein Messer im Spiel war, noch dazu in der Hand von jemandem, der damit umzugehen wusste. Die Sache war offenbar gefährlicher, als ihnen lieb war oder als man ihnen weisgemacht hatte. Sie drehten sich um und liefen davon.
    Ich blickte in die andere Richtung. Der Weiße, der draußen vor dem Lokal gesessen hatte, war aufgestanden. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er mit amerikanischem Akzent.
    Ich blickte mich um. Die Leute an den anderen Tischen wirkten wie erstarrt, unter Schock. Die Männer auf dem Boden stöhnten und wanden sich. Aufgrund der Wunden, die ich ihnen zugefügt hatte, und des vielen Blutes, das sich auf dem Pflaster ausbreitete, schätzte ich, dass sie in wenigen Sekunden tot sein würden.
    »Ich hab alles gesehen«, sagte der Weiße. Er kam auf mich zu. »Die haben Sie angegriffen. Es war Notwehr. Ich bin Anwalt, ich kann Ihnen helfen.«
    Ich dachte verrückterweise: Na toll, ein Anwalt hat mir gerade noch gefehlt.
    Und dann machte mich irgendetwas stutzig. Vielleicht war es Intuition. Vielleicht ging mein Unterbewusstsein Daten durch, auf die mein bewusster Verstand keinen Zugriff hatte, zum Beispiel, wie der Mann an dem Tisch gesessen hatte, beide Füße fest auf dem Boden, als wäre er bereit, jederzeit

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