Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
am Columbus Circle oder der New Yorker Börse, hätte ich es nicht riskiert, so herumzulungern. Doch an einem kalten Sonntagnachmittag unweit von Little Italy erwartete ich keine Probleme.
Letzten Endes musste ich nicht lange warten. Zwanzig Minuten später, als ich gerade wieder auf die Prince zusteuerte, tauchte Accinelli aus der Mott Street auf, nur eine Querstraße weiter, und kam mir auf der anderen Straßenseite in flottem Tempo entgegen. Er trug noch immer das schwarz-weiße Golf-Outfit. Ich hielt das Gesicht von ihm abgewandt und bog nach links in die Elizabeth, ehe wir auf einer Höhe waren. Als er an mir vorbei war, machte ich kehrt und ging in nördlicher Richtung auf der Elizabeth zurück zum BMW. Besondere Eile war nicht geboten; ich konnte ihn mit dem iPhone aus einiger Entfernung verfolgen.
Und das tat ich auch. Ich blieb hinter ihm, hoffte auf eine verrückte, zufällige Gelegenheit, eine Pinkelpause an einem Rastplatz am Highway, irgendetwas in der Art, aber er hielt weder an, noch fuhr er herunter, sondern wollte einfach nur nach Hause. Mit der Zeit fiel ich mehr und mehr zurück, und ich merkte, dass er ganz schön schnell fuhr. Ich wollte nicht riskieren, das Tempolimit um mehr als neun Meilen die Stunde zu überschreiten, und ich schätzte, dass Accinelli um die fünfundachtzig Sachen drauf hatte, vielleicht mehr. Entweder er fuhr gewohnheitsmäßig zu schnell, oder er hatte es eilig.
Ich folgte ihm bis Sands Point, aber nicht ganz bis nach Hause. Es hätte nichts gebracht. Ich wusste bereits, dass ich dort nicht gut an ihn rankommen würde, obwohl, falls ich zwischen seiner Firma und seinem Haus wählen musste, wäre mir Letzteres natürlich lieber. Doch dank des GPS-Verfolgungsgeräts hatte ich das Gefühl, dass sich irgendwo anders eine Möglichkeit auftun würde. Es war nur eine Frage der Zeit.
21
ICH FUHR ZURÜCK RICHTUNG New York und dachte nach. Die Sonne stand schon niedrig am Himmel. Sollte ich mir in Manhattan eine Bleibe suchen? Dort kannte ich mich besser aus als auf Long Island, aber ich wollte in Accinellis Nähe sein, damit ich rasch reagieren konnte, sobald sich eine Gelegenheit bot.
Ich hielt an einer Tankstelle und suchte mir aus den Gelben Seiten in der Telefonzelle ein Hotel aus. Das Andrew lag in Great Neck – knapp fünf Meilen sowohl von Accinellis Haus als auch von seinem Büro entfernt. Das würde hinhauen. Ich rief im Hotel an und vergewisserte mich, dass sie noch ein Zimmer frei hatten, reservierte es allerdings nicht. Das Zimmer war vermutlich auch später noch zu haben, und es ist mir stets lieber, irgendwelchen Gegnern keine mögliche Angriffsfläche zu bieten.
Ich beschloss, zurück nach New York zu fahren. Dort konnte ich die Bulletin Boards anonym checken, und ich glaubte nicht, dass Accinelli heute noch einmal wegfahren würde. Ich kontrollierte den Sender für alle Fälle, aber sein Wagen blieb an Ort und Stelle auf der Hilldale Lane.
Meine Gedanken wollten zu Dox abschweifen, aber ich ließ es nicht zu. Ich konnte im Augenblick nicht mehr für ihn tun, als ich bereits tat, und mir seine Situation auszumalen würde mich nur belasten. Ich musste konzentriert am Ball bleiben und die Sache erledigen.
Delilah. Ein Teil von mir wollte auch an sie denken. Unwillkürlich stiegen Erinnerungen an das Bel-Air in mir hoch, begleitet von Bedauern und Sehnsucht. Ich schüttelte den Kopf, verärgert über meine Schwäche. Lass es sein, sagte ich mir. Vergiss sie. Konzentrier dich.
Ich rieb mir die Augen. Ich war einfach müde, mehr nicht. Ein paar Stunden Schlaf, und ich wäre wieder der Alte. Zuerst die Bulletin Boards und dann nichts wie ins Bett.
Ich fuhr durch den Queens Midtown Tunnel in die Stadt. Ein besonderes Ziel hatte ich nicht, ich brauchte nur zwei Internetcafés. Ich folgte der Park Avenue in südlicher Richtung, fuhr dann den Broadway hinunter. Erst als ich schon auf der Ninth Avenue in Richtung Greenwich Village unterwegs war, merkte ich, wohin ich fuhr. Zu Midori – und zu Koichiro.
Was soll das?, dachte ich. Was machst du denn? Hast du im Augenblick nicht schon genug am Hals?
Ja, aber ich war so nah. Dessen war ich mir schon bewusst gewesen, als ich vor dem Flughafen in die frostige Luft von New Jersey trat. Und ich hatte ja auch nicht vor, bei ihr zu klingeln oder so. Ich würde bloß … parken, ein paar Minuten lang. In der Nähe ihrer Wohnung auf der Christopher Street. Ich würde nicht mal aus dem Wagen steigen. Ich würde einfach
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