Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
Fahrrad. Dunkelheit. Regen. Eine Tragödie. Jannick hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder, ein Junge und ein Mädchen, denen in der schwierigen Zeit Angehörige zur Seite standen.
Ich löschte den Browser und rieb mir die Augen. Keine Wahl, sagte ich mir erneut. Entweder Jannick oder Dox. Jannick oder Dox.
Ich machte in einem Lokal namens Katz’s Delicatessen, Houston Ecke Ludlow Zwischenstation. Das Essen war gut, aber ich aß weder mit Hunger noch mit Genuss, sondern nur, um meinem Körper Nahrung zuzuführen. Schließlich fuhr ich nach Great Neck und checkte im Hotel Andrew ein, wo ich so heiß badete, wie ich es ertragen konnte, um die Anspannung aus mir herauszusieden.
Anschließend lag ich im Bett, übermüdet, aber schlaflos. Unzählige Bruchstücke von Bildern und Stimmen wirbelten mir durch den Kopf, jedes ein hungriger Dämon, der an meinem Verstand nagte. Und dann, inmitten dieser mentalen Kakophonie, hörte ich eine einzelne Stimme, Delilahs Stimme, die von Entscheidungen sprach, dass es an mir lag, die richtige zu treffen, dass es meine Entscheidungen waren, die mich zu dem machten, wer und was ich war. Ich klammerte mich an ihre Stimme und folgte ihr, und nach und nach übertönte sie die anderen.
Und dann kamen mir zum zweiten Mal an diesem Abend die Tränen, diesmal in der schwachen, beängstigenden Hoffnung, dass Delilah vielleicht recht gehabt hatte. Dass ich, wider Erwarten und sogar unabsichtlich, den Beweis dafür geliefert hatte, dass sie recht hatte. Und dass ich es, wenn ich es einmal getan hatte, ein weiteres Mal tun könnte. Und danach noch mal.
Du kannst es, sagte ich mir, wieder und wieder, meine Lippen formten die Worte wie ein Gebet, eine Beschwörung. Du kannst es. Du kannst es. Und während ich das leise Mantra flüsterte, mich daran festhielt, als wäre es meine letzte und einzige Hoffnung, fiel ich endlich in einen unruhigen Schlaf.
23
AM NÄCHSTEN MORGEN STAND ich um fünf Uhr auf. Als Erstes kontrollierte ich den Sender. Accinellis Wagen hatte sich nicht bewegt – er stand noch immer an seinem Haus in Sands Point. Ich duschte, rasierte mich und zog mich an, dann ging ich nach unten ins Restaurant. Während ich frühstückte, ließ ich das iPhone offen vor mir liegen, für den Fall, dass Accinelli sich früher in Bewegung setzte, als ich es für wahrscheinlich hielt.
Um sechs Uhr stieg ich ins Auto und fing an, auf der New York State Route 25A und dem Long Island Expressway zwischen Mineola und Sands Point meine Runden zu drehen. Um halb sieben setzte sich der Sender in Bewegung. Ich fand das nicht überraschend. Accinelli war ein Selfmademan, mit all der Energie, die erforderlich ist, wenn man Erfolg haben will. Ich hatte nicht erwartet, dass er um neun eine Stempeluhr drückte.
Ich sah auf dem iPhone zu, wie er die Searington Road herunterkam, und heftete mich dann auf dem LIE an seine Fersen. Auf der Gegenfahrbahn, Richtung New York, herrschte bereits dichter Verkehr. Ich vermutete, dass er unter anderem deshalb in Sands Point wohnte und in Mineola arbeitete, weil er auf diese Weise immer gegen den Berufsverkehr fuhr.
Während ich ihm folgte, rechnete ich zwar nicht damit, hoffte aber trotzdem, dass er auf einem Rastplatz oder an einem Lieblingsdiner oder irgendwo sonst haltmachte, wo ich ein paar günstige Minuten mit ihm allein sein konnte. Aber vergeblich. Vom LIE fuhr er nach Süden auf den Northern State Parkway, dann auf den East Jericho Turnpike. Schnurstracks von zu Hause in die Firma. Ich fahr an ihm vorbei, als er dem Wachmann vor dem Parkplatz zuwinkte, und sah ihn hineinfahren.
Ich kaufte mir in einem Supermarkt ein paar Sandwiches und etwas Obst und fahr zurück ins Hotel. Wenn Accinelli nirgendwohin fahr, bis er Feierabend machte, stand mir ein langer Tag mit Beobachten und Warten bevor.
Doch um kurz vor elf setzte er sich wieder in Bewegung. Ich ging zum Auto und verfolgte auf dem iPhone, wie er nach Westen fuhr, Richtung New York. Auf dem Brooklyn-Queens Expressway hatte ich ihn so weit eingeholt, dass ich seinen Wagen sehen konnte, und blieb hinter ihm, als er über die Williamsburg Bridge fahr. Wieder nach Manhattan. Interessant.
Mit mehreren Pkws zwischen uns folgte ich ihm auf die Delancey Street. Wo willst du hin?, fragte ich mich. Dahin, wo du gestern warst?
Ich rechnete damit, dass er auf die Bowery bog, um zu demselben Parkplatz zu fahren, wo ich seinen Wagen gestern entdeckt hatte. Stattdessen fahr er weiter geradeaus auf die
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