Tokio Vampire
tobten. Und wahrscheinlich schrie ich einfach mit. Natürlich aus reiner Solidarität.
Der Bass wummerte durch die Halle und brachte jeden Nerv in meinem Körper zum Vibrieren. Adrenalin schoss durch meine Adern und vertrieb jegliche Erschöpfung. Und kaum stand Are auf der Bühne, erklangen die ersten Akkorde von ‚Killerlover’. Are wirbelte herum. Er sprühte vor Energie. Und in Sekunden tobte die ganze Halle. Er setzte alle unter Strom. Und über all diesem Wahnsinn schwebte sein Gesang, unirdisch und perfekt. Das war wirklich wie nicht von dieser Welt. Er war wie ein Wirbelsturm, der alles mitriss. Die Lightshow und die Videoleinwände fielen kaum ins Gewicht. Die ganze Show war auf Are ausgerichtet. Und der zelebrierte jede Minute seines Auftritts.
Ich sah, dass er Kontakt mit dem Publikum aufnahm, dass er grinste, aber ich bekam nicht mit, was er sagte. Das alles rauschte nur so an mir vorbei. Es war ein vollkommener Ausnahmezustand.
Alle hüpften und klatschten, sangen die Songs mit, als wäre diese Band schon seit Jahren im Geschäft, und kreischten, was das Zeug hielt.
Aber Are fand die Zeit, auch seine Bandmitglieder vorzustellen. Veit am Bass, Hauke an der Gitarre, Marc am Schlagzeug. Doch diese Verschnaufpause dauerte nicht lange an.
Am Ende war ich nass geschwitzt, und ich hätte nicht einmal sagen können, wie viele Songs Devil in Blood gespielt hatten. Ich weiß nur, dass ich so etwas noch nie zuvor erlebt hatte.
Nach dem Auftritt war ich erst einmal ein wenig benommen. In meinen Ohren dröhnte es, ich fühlte mich seltsam überdreht und gleichzeitig down, weil jetzt alles vorbei war. Ging es den anderen wohl ähnlich? Ich sah mich um, aber mein Gehirn wollte sich nicht darauf einstellen, andere Leute zu beobachten und schon gar nicht herauszufinden, was in deren Köpfen gerade vor sich ging. Jemand fasste mich am Arm. Es war Leo.
„Hey Liam!“ Sie strahlte. „War das nicht geil?“
Ich nickte nur. Was sollte ich auch sagen? Die merkwürdigen Gefühle, die mich gerade durchliefen, konnte ich nicht in Worte fassen. Langsam löste sich das Gedrängel um uns herum auf. Das Abbaukommando und Tourtechniker waren bereits auf der Bühne um die ersten Kabel wegzuräumen.
„Los, da hinten ist der Durchgang zum Backstage-Bereich.“ Meine Schwester deutete auf eine Absperrung, die von einem ziemlich breiten Kerl bewacht wurde. Dahinter befand sich eine eher unscheinbare Tür. Die magische Tür, dachte ich grinsend. Backstage. Das war ja wohl der Traum eines jeden richtigen Fans. Aber Punkt 1: Ic h war kein Fan. Und Punkt 2: Es war total merkwürdig, Are jetzt nach dem Gig zu begegnen. Immerhin hatte ich ... mich, nun, irgendwie aufgeführt. Ich hatte ihm zugejubelt, gegrölt (zumindest nahm ich das an, denn ich war ziemlich heiser), ich war zu seinen Songs herumgesprungen wie ein Hase auf Ecstasy.
„Sollen wir nicht lieber nach Hause fahren?“, schlug ich vor.
Meine Schwester sah mich an, als wäre mir gerade eine grüne Schlange aus der Nase gekrochen. „Bist du blöd?“
„Nein, evangelisch“, antwortete ich automatisch. Damit war das Thema für Leo offenbar geklärt. Sie zog mich weiter mit sich, an den anderen Fans vorbei, und baute sich vor dem Riesenkerl auf. Der grinste.
„Kannst du Air Bescheid sagen, dass wir da sind?“
„Wer ‚wir’?“
„Leo und Liam Süskind“, teilte meine Schwester selbstbewusst mit. „Soll ich’s buchstabieren? Du kannst uns aber auch so reinlassen. Wir werden erwartet.“
Jetzt lachte der Typ überheblich. „Klar. Das sagen alle.“
Ich war kurz davor, im Boden zu versinken. Immerhin wurde unsere Unterhaltung von allen Umstehenden mit höhnischen Blicken verfolgt.
„Los, geh doch fragen!“, sagte Leo mit Nachdruck. „Wir können ja wetten! 100 Euro?“
Der Typ verdrehte die Augen. „Okay, ich frage.“ Er winkte einen Kollegen heran, der den Durchgang sicherte, und verschwand dann durch die Tür. Einige Minuten später kam er wieder und winkte uns wortlos durch. Die Wette erwähnte er mit keinem Wort. Gut, er hatte ja auch nicht eingeschlagen, dachte ich, konnte mir aber ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Es war ein erhabenes Gefühl, so privilegiert zu sein.
Wir waren allerdings nicht die Einzigen. Außer Leo und mir waren noch zwei Mädchen und ein Typ in dem kleinen Aufenthaltsraum, in dem auch ein Buffet aufgebaut war. Die Mädels sahen extrem gut aus, der Typ eher unscheinbar. Er unterhielt sich mit Hauke, dem
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