Tokio Vampire
nicht ich selbst. Und irgendwie war ich das sonst schon nicht. Es würde der blanke Horror werden. Und dieses Mal konnte ich mich nicht verstecken. Nicht in diesem Kostüm.
Die ersten Gäste trafen ein. Leute, die ich vom Sehen kannte. Freunde meiner Schwester, eigenartig uniformiert in ihrer schwarzen Aufmachung. Aber das war ich ja jetzt auch. Und es war seltsam skurril, dass wir uns in dieser Umgebung trafen. Unsere Eltern waren wirklich nicht spießig eingerichtet, aber wir alle sahen aus wie Draculas Kumpels – auf der Wohnzimmercouch unserer Eltern! Verrückt und ein bisschen peinlich.
„Du siehst cool aus heute“, bemerkte Hannah neben mir.
„D... danke“, stammelte ich und suchte fluchtartig das Weite. Nach dem Schrecken musste ich mir erst einmal ein Bier gönnen. Das stieg mir gleich in den Kopf, da ich ansonsten keinen Alkohol trinke. Aber außer einer angenehmen Schwere passierte nichts.
Meine Schwester stand plötzlich neben mir. „Mann, so wird das nichts!“, raunte sie mir ins Ohr. Ich machte einen erschrockenen Sprung zur Seite. „Sag mal, trinkst du etwa Alk?“
Ich sah sie verärgert an. Warum musste sie sich immer einmischen. „Ein Bier!“
„Du spinnst wohl! Du weißt doch, dass du keinen Alkohol trinken darfst, solange du die Medikamente nimmt.“
Ich grunzte ungnädig. Nicht die Leier! Ich war ja nicht geisteskrank oder so.
Doch zum Glück wurde diese Diskussion nicht weiter vertieft, denn es kam eine gewisse Unruhe unter den anwesenden Gästen auf. Leo sah zu den anderen hinüber.
Und plötzlich hörte ich: „Ich glaub das nicht!“ – „Er ist tatsächlich gekommen.“ – „Abgefahren. Hätte ich nicht gedacht.“
Ich horchte auf. Wen konnten sie meinen? Hatte meine Schwester letzten Endes doch noch einen Filmstar aufgetrieben? Der Gedanke war so verrückt, dass mir ein leicht dümmliches Grinsen auf das Gesicht kroch.
Leo ließ mich einfach stehen und trabte zu ihren Freunden. Ich atmete auf. Aber natürlich wusste ich, dass sie mit dem Thema noch einmal um die Ecke kam. Doch, wer immer gerade angekommen war, er schien ziemlich wichtig zu sein und die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken. Das war hervorragend, denn so konnte ich mich umgehend verdrücken. Ich musste erst mal frische Luft schnappen. Das wurde mir alles zu eng, ich hatte das Gefühl, als könnte ich nicht mehr atmen. Ein Gefühl, das ich kannte. Ich wusste nicht, woher es kam. Aber ich wusste definitiv, dass ich es nicht lange aushalten konnte.
Ich wurde wütend, weil etwas mit mir passierte, das ich nicht beeinflussen konnte. In solchen Momenten, und die waren selten, fühlte ich mich wie behindert. Eingeschränkt. Unzulänglich. Verrückt.
Egal, wie ich es nannte, jetzt hatte es mich im Griff.
Verfluchte Kacke!
Ich biss die Zähne aufeinander und machte mich im Laufschritt auf, Richtung Terrassentür. Wirklich, ich versuchte, nicht aufzufallen. Ich hatte meinen Gesichtsausdruck eisern unter Kontrolle. Und vielleicht hätte ich sogar stehenbleiben können, wenn mich jemand angesprochen hätte. Auf jeden Fall wäre ich in der Lage gewesen, mir eine super Ausrede für meine Eile aus den Fingern zu saugen.
Und dann rannte ich in jemanden hinein.
BAMM!
Ich wurde nach hinten katapultiert, als hätte ich einen Baumstamm gerammt und landete auf dem Hintern. Verdutzt saß ich auf dem Boden, meine Landefläche schmerzte, und ich wusste wirklich nicht, was da gerade passiert war. Die Kollision hatte mich jedenfalls abrupt aus meinem Film befreit. Langsam schaute ich hoch. Meine Augen wanderten über schwarze Hosenbeine nach oben, blieben kurz an einem silbernen Nietengürtel hängen, der nicht komplett in die Gürtelschlaufen gezogen war und daher locker auf einem Oberschenkel ruhte. Es folgte ein dünnes schwarzes Shirt, mit langen Ärmeln, aber schulterfrei. Und dann wagte ich einen Blick in das Gesicht dieses Wesens, an dem ich abgeprallt war wie an einer Betonmauer.
„Entschuldige, hast du dir wehgetan?“ Diese Stimme ging mir durch und durch, sie setzte mich augenblicklich in Flammen.
Ich war komplett sprachlos. Dieses Wesen war ... männlich. Zumindest ging ich zunächst einmal davon aus. Obwohl das Gesicht so fein geschnitten war, dass er ohne Weiteres auch als Mädchen durchgegangen wäre. Die Augen waren auffällig schwarz geschminkt, der Mund schmal und zart geschwungen. Die Nase perfekt geformt, und die Augen in einem satten Braunton mit riesigen Pupillen ... Gott, diese Augen! Die
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