Tokio Vampire
genau, was Are gerade tat, auf wem seine Hände lagen, wem er sein unvergleichliches Lächeln schenkte. Und ich wünschte, nur einen einzigen Blick und etwas Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen. Mann, das war krank.
Natürlich sah ich, als meine Schwester und Are sich davonstahlen. Ich blieb zurück, mit Veit, Hauke, Nils und Marc. Auch die beiden Mädels hatten sich zu uns gesellt, aber sie schienen ein wenig angepisst. Veit und Hauke waren mittlerweile total besoffen, aber Marc hatte sich wie ich eher mit Essen beschäftigt. Er sah auch meinen suchenden Blick.
„Haste Angst um deine Schwester?“, fragte er.
„So ähnlich“, murmelte ich. „Wahrscheinlich sollte ich eher Angst um Are haben.“
Marc lachte und schüttelte den Kopf. Irgendetwas an seinem Lachen gefiel mir nicht.
Gefrustet lümmelte ich mich auf die Couch zu Veit. Ohne Are war es hier trostlos und – sinnlos. Ich meine, er hatte ja auch vorher nicht mit mir gesprochen. Dem wäre ich auch nicht gewachsen gewesen. Aber mir reichte seine Nähe, wie ich mir eingestehen musste. Seine bloße Anwesenheit. Und mir wurde immer klarer, was eigentlich los war mit mir.
Scheiße. Ich war verknallt. In Are! In den Freund meiner Schwester. Den berühmten Freund meiner Schwester. Das war so bescheuert. Ich hätte heulen können.
Mit Hauke und Veit konnte man definitiv nichts mehr anfangen, denn Hauke kriegte kaum noch was mit. Veit hingegen schüttelten Lachanfälle, deren Grund man nicht einmal erahnen konnte. Marc begann sich mit den beiden Mädchen zu unterhalten, und bald waren sie in ein Gespräch vertieft, Nils hatte sich schon verabschiedet. Ich hörte spitzzüngige Kommentare, wie „Was findet Air denn ausgerechnet an der ?“, und ärgerte mich darüber. Gut, objektiv betrachtet sah Leo nicht so super aus wie diese zwei Mädchen. Sie hatte etwas breitere Hüften und kürzere Beine. Aber dafür hatte Leo ein hübsches Gesicht, selbst wenn sie ungeschminkt war, was zugegebenermaßen ziemlich selten vorkam. Aber Are brauchte auch keine perfekte Schönheit an seiner Seite – schön, nein, perfekt war er selber.
Ich blieb eine Zeit lang sitzen, schwankte zwischen Langeweile und Ärger, knibbelte Fussel aus der Armlehne des Sofas. Dann machte ich mich auf, um meine Schwester zu suchen. Es war langsam auch Zeit, nach Hause zu fahren. Hey, ich war müde! Ich wollte mir nicht weiter anhören, was diese beiden Groupies zu erzählen hatten. Und abgesehen davon dachte Leo doch wohl nicht, dass ich hier ewig warten wollte!
Backstage war die Halle ein wenig unübersichtlich. Und so öffnete ich etliche Türen ohne Erfolg. Doch schließlich, in einer dunklen Nische neben dem Hinterausgang, sah ich ein Pärchen, das verdächtig nach Are und Leo ausschaute. Sie waren irgendwie seltsam ineinander verschlungen, Are hatte sein Gesicht am Hals meiner Schwester vergraben. Ich bildete mir ein, eigenartige Geräusche zu hören, was natürlich Quatsch war, denn auch hier war die Musik aus der Halle noch ziemlich laut. Da schien ja noch Party zu sein. Mir egal, ich wollte jetzt nach Hause.
„Leo?“
Es war Are, dessen Kopf herumschnellte. Seine Augen schienen in der Dunkelheit zu funkeln. Und er warf mir einen derart zornigen Blick zu, dass ich erschrocken zurückwich. Fast augenblicklich spürte ich einen sengenden Kopfschmerz, der sich wie WC-Gel hinter meiner linken Augenbraue ausbreitete.
Auch Leo sah mich jetzt an, aber sie wirkte irgendwie entrückt, was nicht weiter verwunderlich war.
„Was ist?“, grollte Are, und es klang verdammt gefährlich.
Scheiße. Ich hatte sie voll gestört, und jetzt war Are sauer. Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen. Und ich – ich war abgrundtief enttäuscht.
Verwirrt und traurig trat ich den Rückzug an. Und zwar im Eiltempo. Der heftige Kopfschmerz ließ fast sofort nach, und ich atmete einmal tief durch.
Sollten die beiden tun, was sie nicht lassen konnten. Mir war’s egal. – Quatsch, das war es natürlich nicht! Fast im Laufschritt verließ ich die Halle, nachdem ich mir nur noch meinen Rucksack gekrallt hatte. Es war so kalt draußen, dass ich erschrocken die Luft anhielt. Und es war natürlich dunkel. Daher fand ich es einigermaßen erstaunlich, dass noch so viele Fans draußen herumlungerten. Wahrscheinlich hofften sie, Are und seine Jungs noch abzupassen, für ein Autogramm, ein Foto und ein paar Worte. Hah, da konnten sie lange warten!
Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy, es war 1.30 Uhr.
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