Tokio Vice
stelle deshalb so viele Fragen.
Nachdem ich etwas zu viel getrunken, aber leider wenig erfahren hatte, ging ich in den Tanzclub »Quest«, wo der Bursche, der das Roulette-Rad drehte, unter dem Tisch Drogen verkaufte.
Um vier Uhr morgens fuhr ich dann nach Kabukicho, um einen Informanten in einer kleinen Hostessenbar zu treffen. Ich wollte immer noch mehr über Kajiyama wissen, und dieser Mann konnte mir helfen. Ich gab ihm den Spitznamen Zyklop. Er hatte ein rundes, flaches Gesicht mit buschigen Augenbrauen, die über seiner falkenartigen Nase zusammengewachsen waren, und sah ziemlich einschüchternd aus.
Ich kannte Zyklop aus Saitama. Er war Japaner koreanischer Herkunft, Mitglied der Yamaguchi-gumi und besaß ein umfassendes Wissen über die Unterwelt. Er war also eine hervorragende Quelle, hatte aber auch etwas Hinterhältiges an sich. Daher vertraute ich zwar seinen Informationen, aber nie seinen Motiven. Außerdem nahm er gerne Speed und neigte dann zu dem unberechenbaren Verhalten – den extremen Emotionen und dem Verfolgungswahn –, das typisch für Konsumenten von Methamphetamin ist. Wenn man ihn reizte, konnte er äußerst gewalttätig werden.
Kennengelernt hatte ich Zyklop durch seinen Vater, der eine Menge Geld bei einer koreanischen Genossenschaftsbank angelegt hatte, die von der japanischen Regierung gestützt werden musste. Einem anderen Yakuza-Informanten zufolge war die Bank pleitegegangen, weil sie illegale Geschäfte betrieben und der Inagawa-kai ungesicherte Darlehen gegeben hatte. Zwei Kollegen und ich recherchierten fast zwei Jahre lang, bis wir endlich Material für einen Artikel hatten. Die erfreuliche Folge war, dass die Polizei von Saitama die Leute festnahm, die für die Bankpleite verantwortlich waren.
Kein Kunde erhielt sein Geld zurück, aber die koreanische Gemeinde war froh darüber, dass die Schuldigen bestraft wurden. Während
ich an dem Artikel arbeitete, freundete ich mich mit vielen Koreanern an. Damals stellte mich Zyklops Vater seinem Sohn vor.
Zyklop war hartnäckig. Er fragte mich immer wieder, wann der Artikel erscheinen werde. Aber es war nicht einfach, etwas über die Bankpleite in der Zeitung zu veröffentlichen – zum Teil deshalb, weil ein Bericht über den Zusammenbruch eines Finanzinstituts schwerwiegende Folgen haben konnte, zum Teil auch, weil sich niemand für ein Ereignis interessierte, das fälschlicherweise als rein koreanische Angelegenheit galt, und zum Teil deshalb, weil eine religiöse Gruppe, die etwas mit den Problemkrediten zu tun hatte, Druck ausübte, um die Sache zu vertuschen. Ach ja – teilweise auch deshalb, weil ein prominenter Politiker seine Finger im Spiel hatte. Letztlich gelang es mir, den Artikel unterzubringen, weil ich eine Kopie des vernichtenden Untersuchungsberichts der Präfektur Saitama vorlegen konnte.
Ich hatte Zyklop und seinem Vater versprochen, keine Ruhe zu geben, bis die Story veröffentlicht wurde, und hatte mein Versprechen gehalten. Damals wusste ich noch nicht viel über die Yamaguchi-gumi, und da sie im Osten Japans kaum vertreten war, verspürte ich auch nicht das Bedürfnis, mehr zu erfahren. Da Koreaner aber gerne miteinander reden, unabhängig davon, welcher Gruppe des organisierten Verbrechens sie angehören, war Zyklop immer gut über die Welt der Gokudo unterrichtet. Er kommentierte ohne Hemmungen die Gerüchte über die Sumiyoshi-kai und die Inagawa-kai. Fragen über seine eigene Organisation hatte ich ihm bisher nie gestellt. Aber jetzt schien es Zeit dafür zu sein.
Es war nicht einfach, Zyklop nach Tokio zu locken, denn sein Revier war Saitama, und dort fühlte er sich sicher. Dennoch wartete er wie vereinbart in dem Hostessenclub auf mich.
Als er mich zu sich winkte, setzte ich mich ihm gegenüber. Er bestellte einen Drink für mich, den ich höflich annahm, dann prosteten wir uns zu. »Prost« war das einzige koreanische Wort, das ich kannte, abgesehen von »Toilette«.
»Jake-san, was gibt’s?«
»Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat die Polizei heute die Zentrale der Yamaguchi-gumi durchsucht.«
»Das wussten alle schon seit etwa zwei Wochen.«
»Ich habe es erst vor einer Woche erfahren. Aber eine Sache wüsste ich zu gerne: Wo zum Teufel ist das viele Geld geblieben, dass
Kajiyama verdient hat?«
»Hmmm ... Warum interessiert Sie das?«
»Weil das eine gute Story wäre.«
»Und was ändert sich, wenn Sie darüber schreiben?«
»Nichts.«
»Warum dann?«
»Es ist mein Job. Ich beschaffe
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