Tokio Vice
Ihre Konsumentenkreditfirma in Wirklichkeit von Kreditwucher lebte?«
»Sie sagen das so, als wären das zwei verschiedene Dinge.«
»Stimmt das denn nicht?«
»Es ist doch immer das Gleiche: Jemand kommt zu uns und beantragt einen Kredit. Wir berechnen ihm einen unglaublichen Zinssatz, und in den nächsten Monaten oder Jahren zahlt er den Kredit ab. Wenn er damit fertig ist, hat er vielleicht fünf- oder zehnmal so viel bezahlt, wie er bekommen hat. Das ist kein schöner Job, aber es ist ein Job. Übrigens, schauen Sie mal in die Yomiuri . Die ist voll mit Anzeigen von Aiful, Promise, Takefuji und all den anderen Konsumentenkreditfirmen. Ihr Jungs unterstützt doch die Kredithaie.«
»Aber Sie haben es nicht wirklich gewusst?«
»Nach einer Weile schon. Alle wussten es. Aber da war es zu spät. Dann ist man drin, und sie zahlen gut. Und man macht sich auch Sorgen, was wohl passieren würde, wenn man kündigt. Ob sie einen überhaupt gehen lassen.«
»Was ist denn mit den illegalen Geschäften? Hatten Sie keine Angst, verhaftet zu werden?«
»Doch, aber sie haben gesagt, dass uns nur eine Geldstrafe drohen würde und dass sie die übernehmen würden. Sie würden auch den Anwalt bezahlen und sich um uns kümmern. Ich habe ihnen das geglaubt. Und ja, die Bezahlung war gut. Die Chefs hatten auch verrückte Ideen, um uns bei Laune zu halten. Letzten April zum Beispiel haben sie den Tokyo Dome gemietet und ein privates Baseballspiel veranstaltet. Wir hatten den Tokyo Dome ganz für uns allein. Das war toll.«
Das war genau das, was auch die Yomiuri in meinem ersten Jahr als Reporter gemacht hatte, damit die Reporter im ganzen Land sich als Team fühlten, und sicher auch, um die Loyalität gegenüber der Firma zu fördern. Kajiyama sah das ebenso, er war bestimmt kein Dummkopf.
Der Angestellte hatte auch recht: Die Yomiuri und alle anderen Zeitungen in Japan verdienten gut mit den Anzeigen der Kreditbüros.
Mizoguchi, unser für Finanzgeschäfte zuständige Reporter, musste monatelang betteln, bis er die Erlaubnis für eine Artikelserie erhielt, in der er aufzeigen wollte, welchen Schaden die Kredithaie der japanischen Gesellschaft zufügten. Dieses Thema war ziemlich heikel. Und als sich herausstellte, dass viele Kreditbüros gesetzeswidrig hohe Zinsen verlangten, bedurfte es großer Überredungskunst, um dies zu veröffentlichen. Doch letztlich siegte der Nachrichtenwert über die Firmeninteressen, wie immer bei der Yomiuri . Das ausschlaggebende Ereignis war der Selbstmord eines Mannes, seiner Frau und eines Angehörigen im Juni 2003 in Osaka. Die drei warfen sich vor einen Zug. Die Frau hatte einen Brief hinterlassen, in dem sie erklärte, dass sie einen Kredit aufgenommen habe, der lawinenartig zu einem Schuldenberg herangewachsen sei, den sie niemals würde abtragen können. Die Geldeintreiber hätten sie und ihre Nachbarn bedroht und ihr Leben zerstört, und die Polizei sei machtlos gewesen.
Wenn Kredithaie drei Menschen in den Selbstmord treiben, horchen die Leute doch auf. Und es waren Verbrecher wie Kajiyama, die hinter diesen Todesfällen steckten. Als Reporter vergisst man manchmal beinahe die Opfer. Irgendwie bewundert man das kriminelle Genie und die rücksichtslose Effizienz der Täter und vergisst dabei ganz, dass das verbrecherische Imperium auf menschlichem Leid errichtet wurde.
Kajiyama war ein Franchise-Genie, und das illegale Kreditgeschäft, das er aufgebaut hatte, war ausgeklügelt und flächendeckend. Er war hinter schlechten Schuldnern her, und das zahlte sich aus. »Die besten Kreditkunden«, erklärte er einmal selbst, »sind die, die bereits Schulden haben. Sie sind so verzweifelt, dass sie jeden Zins bezahlen, den man von ihnen verlangt, wenn sie nur schnell Geld bekommen. Das, was sie von uns kriegen, können sie aber niemals zurückzahlen. Dann gehören sie uns.« Er hatte einen Computerfreak namens Akiba-kun damit beauftragt, eine Datenbank zu erstellen, in der festgehalten war, wie viel jeder Kunde der Firma schuldete, was er schon bezahlt hatte und ob er mit der Polizei oder mit einem Anwalt in Kontakt getreten war. Hinzu kamen detaillierte persönliche Daten, zum Beispiel über Vorgesetzte, Familienmitglieder und sogar außereheliche Verhältnisse.
Wenn ein Kunde immer verzweifelter wurde, bot ihm ein anderes Kreditbüro, das ebenfalls Kajiyama gehörte, einen neuen Kredit an, meist zu noch höheren Zinsen. Mit anderen Worten: Kajiyama beutete ein und denselben Kunden
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