Tokio Vice
aber keine Berufstätigkeit erlaubten. Das hatte für Slick und Viktor den Vorteil, dass sie ständig frische Mädchen bekamen und von den überhöhten Flugkosten profitierten. Viele Mädchen schuldeten Slick
sogar Geld, wenn sie das Land wieder verließen.
Viktor, der groß war und gut aussah, war angeblich mit einer Japanerin verheiratet, was zur Folge hatte, dass er in Japan Geschäfte machen durfte.
Ein Informant im Justizministerium entdeckte eine Gesellschaft, die unter Slicks Namen registriert gewesen war: R & D. Diese 1993 gegründete Firma hatte Autos importiert, Kleidung verkauft und Beratungen und Versicherungen angeboten. Anscheinend hatte sie ihre Tätigkeit inzwischen eingestellt. Der Direktor der Firma, Ko Kobayashi, war bereits mit dem Gesetz zur Verhütung der Prostitution in Konflikt geraten und 1989 in Shizuoka (einem Revier der Goto-gumi) verhaftet worden, weil er taiwanesische Frauen ins Land gebracht hatte, um sie als Prostituierte arbeiten zu lassen. Slick war angeblich Vorstandsmitglied der Firma gewesen. Es war also klar, dass er schon seit Langem mit Frauen handelte.
Alien Cop hatte jedoch auch eine ziemlich unangenehme Neuigkeit für mich: Er konnte Slick nichts anhaben. Das hatte ich bereits erwartet, denn Slick hatte ja einen wichtigen Hinweis im Fall Lucie Blackman gegeben. Solange also die Tokioter Polizei keinen neuen Chef für den Bezirk Roppongi bekam, durfte Slick tun, was er wollte. Ein einziges Mal in seinem Leben hatte Slick etwas Gutes getan, und deshalb mussten so viele weiter leiden.
Viktor warb die meisten Frauen direkt in Europa an. Er war für die Logistik zuständig und arrangierte auch Sexreisen in die Malediven, womit er noch mehr Geld verdiente.
Anfang Dezember hatte ich schließlich genug Material zusammen, um einen Artikel zu schreiben. Den Entwurf zeigte ich meinem damaligen Vorgesetzten Yamakoshi. Da es sich um eine sensationelle Story handelte, wollte er jedoch zuerst noch etliche Dinge geklärt haben. Er schickte den Artikel und mich zu Mr. Bowtie, dem furchterregendsten und anspruchsvollsten Redakteur und Reporterveteran im Ressort Landesnachrichten.
Bei einem Kaffee erklärte mir Bowtie unmissverständlich, was er brauchte. Zuerst sollte ich mit den Mädchenhändlern sprechen und ihren Standpunkt anhören. Dann sollte ich ein »unschuldiges
Opfer« finden.
»Was meinen Sie denn damit?«
»Was glauben Sie denn, was ich meine, Sie Blödmann? Es ist wohl kaum ein Verbrechen, ein paar Nutten nach Japan zu bringen, die pro Nacht einige tausend Dollar auf dem Rücken verdienen wollen und dann erfahren müssen, dass sie weniger kriegen. Ich will ein Mädchen haben, das hereingelegt wurde, eine wirklich Unschuldige. Ich will eine traurige Story. Wenn sie nur eine unterbezahlte, mit ihrem Job unzufriedene Hure ist, dann ist das keine Story.«
»Sie verstehen wohl nicht, was da los ist.«
»Oh doch. Ich weiß, was da läuft, und ich sage Ihnen nur, was wir brauchen. Sie wollen einen Artikel schreiben, und Sie wollen, dass die Leute Mitleid mit diesen unschuldigen Frauen haben und die Frauenhändler hassen. Wenn Sie das aber nicht schaffen, dann haben Sie keine Story und dann vergeuden Sie meine und Ihre Zeit.«
Seine Art gefiel mir zwar nicht, aber ich wollte diesen Artikel unbedingt schreiben, denn der Fall lag mir sehr am Herzen. Also bat ich Helena um Hilfe. Sie verriet mir, wo ich Veronika finden konnte, eine jener Frauen, denen die Flucht gelungen war. Zum Glück hatte Veronika vor ihrer Flucht ihren Pass heimlich an sich nehmen können.
Veronika war klein und mager. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem nachlässigen Pferdeschwanz frisiert. Sie sah nicht gut aus. Selbst dick aufgetragenes Make-up konnte die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht verbergen. Sie trug einen weißen Ledermantel mit Pelzkragen und ihr linkes Ohr sah zerquetscht aus.
Sie war 26 Jahre alt und stammte aus einem kleinen Dorf 80 Kilometer von Warschau entfernt. »Ich habe eine Anzeige im Internet gesehen: ›Arbeiten Sie in Japan als Hostess! Jede Frau kann in kurzer Zeit sehr viel Geld verdienen. Wir suchen blonde Frauen.‹ Auf diese Anzeige habe ich mich gemeldet.
Ich fuhr dann nach Warschau und traf Mikel, den Vertreter einer Talentagentur. Er zeigte mir Bilder eines richtig luxuriösen Clubs und meinte, dass ich dort mit japanischen Männern tanzen und auf Englisch plaudern müsse. Für eine Stunde bekäme ich 100 Dollar. Da meine Tochter sechs war, bat ich meine Mutter, sich
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