Tokio Vice
mehr, Englisch zu unterrichten.«
»Man verdient nicht schlecht«, gab der Händler zu, »etwa 100 000 Yen (rund 1000 Dollar) am Wochenende. Aber in Yokohama soll das Geschäft noch besser laufen.«
Ich bot ihm ein paar Donuts an, und er erzählte mir von seinen Abenteuern in Thailand. Etwa 30 Minuten später kamen ein anderer Israeli und seine japanische Freundin in einem Lieferwagen an und luden ihre Ware aus.
Händler eins stellte mich vor, Händler zwei hieß Easy und begann sofort, sich mit starkem hebräischem Akzent über die Gangster zu beklagen. »Ich hasse diese Dreckskerle! Je mehr wir verdienen, desto mehr nehmen sie uns ab. Am liebsten würde ich ihnen gar nichts geben, aber Keiko«, und dabei zeigte er auf seine Freundin, »hält das für keine gute Idee.«
Keiko nickte, dann fragte sie: »Kennen Sie die Sumiyoshi-kai?«
Selbst ich hatte von der Sumiyoshi-kai, einer der größten Yakuza-Gruppen in Tokio, gehört und wusste, dass es nicht ratsam war, ihr in die Quere zu kommen. Wenn die Händler weiter Geschäfte machen wollten, mussten sie sich an die Spielregeln halten.
Nachdem ich ins Büro zurückgekehrt war, berichtete ich Kaneko von dem Gespräch. Er war sehr erfreut über meine Erkenntnisse.
»Was bedeutet shobadai ?«, fragte ich ihn.
»Das ist ein Slangausdruck für Miete. Basho bedeutet Platz, und dai bedeutet Geld. Aber statt bashodai sagen die Yakuza shobadai . Sie verdrehen gern die Buchstaben, damit normale Leute sie nicht verstehen. Es ist der übliche Jargon, ein Wort, das das Ausnehmen der Straßenhändler bezeichnet.«
Dann forderte Kaneko mich auf: »Schreiben Sie den Artikel.«
Das war der Sprung ins kalte Wasser! Der Ausgangspunkt war, dass die Yakuza ausländische Straßenhändler erpresste, die sich nicht bei der Polizei beschweren konnten, und dass dies eine Einkommensquelle für das organisierte Verbrechen war. Ich bemühte mich wirklich, aber der Artikel war furchtbar, denn ich wusste nicht viel über die Gesetze gegen das organisierte Verbrechen, die damals noch neu waren, und ich hatte keinen Kontakt zur Polizei, um die Story zu vertiefen.
Als Hatsugai den Artikel überflog, meinte er höflich: »Nicht schlecht, ein guter Anfang. Ich werde mit der Polizei in Chiba reden und sehen, was die von der Sache hält. Dann schmeißen wir unser Material zusammen und versuchen, das Ganze in der Lokalzeitung unterzubringen.«
Als ich am nächsten Montag ins Büro kam, begrüßte mich Kaneko aufgeregt. »Adelstein, große Neuigkeiten! Da heute nicht viel los ist, kommt Ihr Artikel in die überregionale Ausgabe. In die Abendausgabe!«
Er versicherte mir, dass es ein großer Erfolg für einen Reporter aus einem Regionalbüro sei, in der überregionalen Ausgabe gedruckt zu werden. Er war mindestens so begeistert wie ich.
Die Schlagzeile lautete: »Ausländische Straßenhändler Zielscheibe des organisierten Verbrechens. Yakuza beutet illegale Händler, die keinen Polizeischutz anfordern können, aus und erpresst von ihnen Geld.« Das war zumindest an diesem Tag eine Nachricht für die ganze Nation. Natürlich stand mein Name nicht unter dem Text – er fehlte meist sogar bei altbewährten Reportern, also kein Grund zur Klage.
Alles in allem war es eine respektable Leistung, und Inoue rief mich am selben Morgen an und gratulierte mir. Ich war mit einer Schlagzeile in die überregionale Ausgabe gekommen, obwohl ich noch nicht einmal eingestellt war!
Da ich mich nun doch ein wenig selbstsicherer fühlte, beschloss ich, noch etwas herumzureisen, bevor mein Leben als Arbeitnehmer anfangen würde. Die Yomiuri vergab zinslose Darlehen an neue Angestellte, damit diese vor Arbeitsbeginn ins Ausland reisen konnten. Es war ein reizvolles Angebot und machte natürlich gleichzeitig aus Mitarbeitern Schuldknechte. Doch ich wollte das Angebot nutzen, um ein paar Monate in Hongkong zu verbringen und die chinesische Kampfkunst wing chun zu studieren, die mich schon seit Langem interessierte. Doch leider riefen mich Mitarbeiter der Zeitung an, um mir mitzuteilen, dass mein Visum nicht verlängert worden sei und ich sofort zurückkommen und mich darum kümmern müsse, da ich sonst keinen Job bekommen würde.
Die Einreisebehörde befand sich nur drei Minuten vom Hauptbüro der Yomiuri entfernt in einem baufälligen Haus. Im Erdgeschoss und im ersten Stock wimmelte es nur so von mürrischen Ausländern. Ich war per Postkarte aufgefordert worden, dort vorzusprechen, und musste über eine Stunde
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