Tokio Vice
Tokio.
Wir fuhren mit dem Aufzug in den neunten Stock, in dem sich die Abteilung für öffentliche Angelegenheiten des TMPD und drei Presseclubs befanden: der für die Zeitungen, der für das Fernsehen und der für den Rundfunk und die Lokalzeitungen des Landes. Für die Wochen- und Monatszeitschriften war kein Platz – die Polizei hielt sie für subversive Skandalblätter und setzte sie daher nicht auf die offizielle Liste der Presseclubs.
Ausländische Journalisten waren ebenfalls nicht vertreten. Die wichtigen japanischen Medien haben dagegen nie protestiert und werden es auch nicht tun. Denn wer Teil eines Monopols ist, hat kein Interesse an Konkurrenz.
Einige Reporter spielten Karten auf einem ramponierten Tisch im offenen Bereich vor der Küche. Weiter hinten auf der Etage gab es einen feuchten Raum mit Tatami-Matten, wo die Reporter ihre Futons ausrollen und ihren Kater ausschlafen konnten, während sie auf die nächsten Pressemitteilungen warteten.
Als Inoue und ich in den Yomiuri -Teil des Presseclubs kamen, der im Wesentlichen ein rechteckiger Raum war, der durch einen Vorhang als Tür vom Rest abgetrennt wurde, hatten sich alle Reporter um einen Tisch versammelt und betrachteten einen Bildband. Der Raum wirkte gar nicht wie das Quartier der größten Zeitung in Japan. An den Wänden standen hohe Bücherregale, Zeitungen und Zeitschriften lagen auf dem Sofa und auf dem Boden verstreut. Papierkörbe quollen über von zerknüllten Telefaxen, Nudelpackungen und Bierdosen, und auf jedem Schreibtisch stand ein Computer. In einer Ecke befand sich eine Klimaanlage, und auf dem breiten Fenstersims standen sechs Fernseher und drei aufeinandergestapelte Videorekorder. Alle Fernsehgeräte waren eingeschaltet, und ein CB-Funkgerät gab den Funkverkehr der Feuerwehr wieder. In einem Etagenbett neben dem Vorhang schlief jemand in seinen Schuhen und mit der Morgenzeitung auf dem Gesicht.
Inoue und ich gingen zu der Reportergruppe. Das Buch, das sie begutachteten, war Sex von Madonna, das gerade veröffentlicht worden war. Die Journalisten – nur Männer – betrachteten und kommentierten ihre Brüste. Inoue stellte mich vor, dann nahm er das Buch und gab es mir: »Finden Sie es obszön?« Da es eine japanische Ausgabe war, waren große Teile der Bilder – Genitalien und Schamhaare – geschwärzt.
»Nein, das finde ich nicht.«
»Tja, wenn sie dieses hier herausgebracht hätten«, fuhr er fort und zog dabei die unveränderte amerikanische Ausgabe aus dem Regal, »hätte die Polizei beim Verlag eine Razzia veranstaltet und jedes Exemplar beschlagnahmt. Die Verleger von Santa Fe 2 wären fast verhaftet worden, weil sie ein bisschen Schamhaar gezeigt haben. Aber dieses Zeug aus Amerika kommt Pornografie schon sehr nahe. Vielleicht ist es ja Kunst, aber doch auch Pornografie. Wir hätten eine gute Story gehabt, wenn die japanischen Verlage nicht so feige gewesen wären.«
»Würde die Polizei jemanden wirklich deswegen verhaften?«
»Der oberste Gerichtshof hat 1957 entschieden, dass alles obszön ist, was den Betrachter sexuell erregt, was schamlos ist und die Moralvorstellungen der Gesellschaft verletzt. Und weil obszöne Werke
verboten sind, ist ihre Verbreitung eine Straftat.«
»Das heißt?«
»Nun ja, für die Polizei heißt das: kein Schamhaar. Jedenfalls früher.« Inoue kicherte. »Das ist schon ein seltsames Land. Die Polizei kümmert es nicht, wenn Sie mitten am Tag Oralsex haben oder wenn die Betreiber der Sexclubs ihre Dienste öffentlich anbieten. Aber sie regt sich auf, wenn Leute anderen Leuten beim Sex zusehen. Und Schamhaar erinnert zu sehr an Sex. Die Moral der Geschichte ist also: Tut es, aber schaut es euch nicht an.«
»Darf so etwas in den Vereinigten Staaten verkauft werden?«, wollte nun ein Reporter wissen.
Die Frage löste eine zwanzigminütige Diskussion über die Unterschiede zwischen japanischer und amerikanischer Pornografie aus. Die Reporter waren schockiert zu erfahren, dass Genitalien in den USA selten mit Tintenfischen oder anderen Meerestieren verdeckt werden und dass auch Sex in Strumpfhosen nicht gerade beliebt ist. Sie baten mich, von meinem nächsten Besuch in Amerika ein paar Videos mitzubringen.
Als wir gingen, warnte mich Inoue: »Tun Sie das bloß nicht. Bringen Sie keine Pornos für diese Idioten mit. Der Zoll würde Sie verhaften, und das ist das Letzte, was wir brauchen. Diese Typen können auch gut ohne dieses Zeug leben.«
Wir machten uns auf den Weg in ein
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