Tokio Vice
lang warten, bis ich in das entsprechende Zimmer gerufen wurde.
Mein Gesprächspartner war ein alter Bürokrat mit vielen Goldzähnen und grauem Haar, das er mit Pomade an die Seiten geklebt hatte. Da er offenbar lieber englisch mit mir reden wollte, tat ich ihm den Gefallen.
»Sie werden vom nächsten April an für die Daily Yomiuri 3 arbeiten?«
»Nein, ich werde von diesem April an für die japanische Yomiuri arbeiten.«
»Die japanische Yomiuri ?«
»Ja, die japanische Ausgabe.«
»Dann sind Sie Fotograf?«
»Nein, ich werde als Journalist arbeiten.«
»Als Journalist? Schreiben Sie japanisch?«
»Ja, und deshalb arbeite ich für die japanische Yomiuri und nicht für die Daily Yomiuri .«
»Also die japanische Yomiuri ?«
»Ja genau.«
»Wenn Sie japanisch schreiben, ist das dann internationale oder
nationale Arbeit?«
»Das weiß ich nicht. Das müssen Sie doch wissen.«
»Hm. Haben Sie einen Vertrag?«
»Nein, keinen Vertrag, ich werde ein festangestellter Mitarbeiter sein, ein seisha-in 4.«
» Seisha-in ? Aber Sie sind kein Japaner?«
»Soviel ich weiß, nein.«
»Dann brauchen Sie einen Vertrag.«
»Ich habe keinen Vertrag. Ich bin ein seisha-in , und die bekommen keinen Vertrag, die werden einfach für immer eingestellt.«
Er kratzte sich am Kopf und holte dann durch die Zähne Luft.
»Ich denke, Sie sollten einen Vertrag unterschreiben und dann noch einmal zurückkommen.«
»Wann?«
»Wenn Sie den Vertrag haben.«
»Und an wen soll ich mich dann wenden?«
Das verwirrte ihn offenbar, denn er begriff, dass er die Verantwortung für mein Visum übernehmen musste. Nach einem kurzen Blick nach links, so als ob er überlegte, an wen er mich weiterreichen könnte, gab er mir zögernd seine Karte.
»Sie können mich anrufen.«
Ich verließ das Gebäude ziemlich verärgert, schließlich hatte ich einen Traum verwirklicht – ich hatte eine feste Anstellung in einem riesigen Unternehmen bekommen. Und jetzt sollte ich einem Vertrag hinterherlaufen. Aber ich wollte alles: den Job fürs Leben, die Krankenversicherung des Konzerns, die Visitenkarte, die nie endende Arbeit und auch noch ein besseres Visum.
Also ging ich im Hauptbüro der Yomiuri zum Empfang und bat
darum, jemanden aus der Personalabteilung sprechen zu können. Als ein hohes Tier der Abteilung zu mir kam, erklärte ich ihm die Situation und auch, dass ich nicht begeistert von der Idee war, einen Vertrag mit der Firma abschließen zu müssen. Eigentlich ging ich davon aus, dass er irgendetwas Bürokratisches murmeln würde und mich dann auf einen hastig formulierten Vertrag warten
lassen würde.
Doch stattdessen sah er mich an und meinte: »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Wir haben Sie fest eingestellt, und das ist Ihr Status. Keiner Ihrer Kollegen bekommt einen Vertrag, und wir wollen Sie auch nicht anders behandeln.«
Dann nahm er die Visitenkarte des Immigrationsbeamten, sagte:
»Ich kümmere mich darum« und schickte mich nach Hause.
Gleich am nächsten Morgen rief die Einreisebehörde an, und eine junge Frau fragte mich außergewöhnlich höflich, ob ich um 14 Uhr vorbeikommen könne, um den nötigen Papierkram zu erledigen.
Als ich nachmittags den Warteraum betrat, wurde ich sofort in das Büro von Mr. Goldzahn geführt.
»Ich muss mich für die Verwirrung entschuldigen. Aber Ihr Fall ist wirklich ungewöhnlich. Haben Sie Ihren Pass dabei?«
Ich überreichte ihm den Ausweis und schon fünf Minuten später kam er mit einem Dreijahresvisum zurück, das es mir erlaubte, in den Bereichen internationale Angelegenheiten und Geisteswissenschaften zu arbeiten. Dann wünschte er mir viel Glück und schob mich nervös zur Tür hinaus.
Ich kann nicht sicher sagen, ob ein entsprechender Telefonanruf der Grund dafür war oder ob es sich vielleicht um eine ganz normale Prozedur handelte. Auf jeden Fall war ich beeindruckt und meinte zum ersten Mal die Macht zu spüren, die die Yomiuri besaß.
An diesem ersten April wurden alle 60 Neulinge als Yomiuri -Mitarbeiter vereidigt. Die Zeremonie fand in der Zentrale des Unternehmens statt. Der Präsident der Firma hielt eine Rede, unsere Namen wurden verlesen, Fotos wurden geknipst. Viele der Neulinge kannte ich bereits von früheren Veranstaltungen.
Nach der Zeremonie lud mich Matsuzaka, der Sophia-Absolvent, der sich für mich eingesetzt hatte, zu ein paar Drinks ein. Zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere trank ich noch keinen Alkohol, doch wir gingen dennoch in eine
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