Tokio Vice
gehabt. Du hast die Leber eines Jugendlichen bekommen, der bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, und das nur zwei Monate, nachdem man dich auf die Transplantationsliste gesetzt hat. Ein unglaublicher Zufall.«
Goto kicherte. »Oh, das war kein Zufall.«
Inagawa lachte nicht.
Ich weiß bis heute nicht, ob Goto den Autounfall meinte oder seinen Spitzenplatz auf der Liste. Vermutlich hatte er in beiden Fällen die Hände im Spiel.
Auch Inagawa wollte später wegen einer Lebertransplantation in die USA reisen, doch er bekam kein Visum. Bei einem Gespräch mit Vertretern der US-Botschaft durfte er zwar sein Anliegen vortragen, aber ein FBI-Agent erklärte ihm unverblümt: »Wenn Sie wissen wollen, warum wir sie nicht ins Land lassen, dann fragen Sie Herrn Goto.«
Die amerikanische Einwanderungs- und Zollbehörde wollte sich kein zweites Mal übertölpeln lassen. Sie hatte eine ungefähre Vorstellung von dem Handel zwischen dem FBI und Goto und fand, dass er wenig verwertbares Material erbracht hatte.
Goto hatte einem seiner Partner erzählt, er habe für die Leber insgesamt drei Millionen Dollar bezahlt. In Polizeiberichten ist von einer Million die Rede, es wurde spekuliert, dass Gotos Arzt für jeden »Hausbesuch« in Japan, der meist im »Hotel Imperial« stattfand, 100 000 Dollar erhielt. Die einzigen Leute, die vom Handel mit dem FBI wussten, gehörten Gotos engstem Kreis an. Das war gut zu wissen.
Als ich zum ersten Mal das ganze Material über die Yamaguchi-gumi durcharbeitete, wurde mir klar, dass Goto wohl nicht als Einziger von der UCLA eine neue Leber bekommen hatte. Wahrscheinlich gab es noch drei andere Personen.
Das hielt ich für eine fantastische Story, nicht nur aus amerikanischer Sicht, sondern auch aus japanischer. Denn Japan hat sehr strenge Vorschriften, was Organtransplantationen anbelangt. Es gibt wenig Spender und wenig Operationen. Die meisten Japaner, die ein Spenderorgan brauchen, gehen ins Ausland oder sterben, während sie
darauf warten. Für Amerikaner war die Sache ebenfalls schockierend: Denn japanische Kriminelle wurden gegenüber gesetzestreuen
US-Bürgern eindeutig bevorzugt.
Ich schrieb alles, was ich wusste, für ein Buch auf, das bei Kodansha International, der englischsprachigen Abteilung des Kodansha-Verlags, einem der ältesten und bekanntesten Verlage Japans, erscheinen sollte. Ich versuchte auch, die Story bei einer Wochenzeitschrift unterzubringen. Die Antwort hieß: »Auf keinen Fall.« Gründe wurden nicht genannt.
Also beschloss ich zu warten. Und ich würde vermutlich heute noch warten, wenn es nicht eine kleine Panne gegeben hätte.
Kodansha International veröffentlichte auf seiner europäischen Website eine lange Vorbesprechung des Buches, ohne mich darüber zu informieren. Ich erfuhr erst im November 2007 davon. Die Website verriet nicht alles, aber genug, um Tadamasa Goto eine Vorstellung davon zu geben, was sich da zusammenbraute. Ich sorgte zwar dafür, dass die Besprechung aus dem Netz entfernt wurde, aber ich hatte die englischen Sprachkenntnisse von Gotos Handlangern unterschätzt und auch nicht damit gerechnet, dass sie Google Alerts nutzten. Einer von Gotos Partnern meinte später, es sei wahrscheinlich jemandem gelungen, sich eine Kopie der Katalogbeschreibung meines Buches zu beschaffen, und diese habe den Verdacht wohl bestätigt. Im Dezember 2007 häuften sich die Hinweise dafür, dass ich in ernsten Schwierigkeiten war. Im Januar 2008 wurde mir dann definitiv bestätigt, dass Goto mich ermorden lassen wollte.
Mein Informant bat mich, ihn in Kabukicho zu besuchen. Ich fuhr dorthin und traf ihn in seiner Lieblingsbar. Als ich bereits ziemlich betrunken war, erklärte er mir die Lage.
»Jake, du hast ein großes Problem. Goto weiß, dass du ein Buch schreibst, und das gefällt ihm gar nicht. An deiner Stelle wäre ich sehr vorsichtig.«
Ich versuchte erst gar nicht, es zu leugnen, zuckte aber mit den Schultern und meinte: »Was kann er schon tun? Mir mit meiner Ermordung drohen? Das hat er bereits getan.«
»Er wird nicht länger drohen, er wird es einfach tun. Und er wird dafür sorgen, dass es wie Selbstmord aussieht.«
»Wie bitte? Aber ich habe überhaupt keine Neigung zum Selbstmord.«
»Wie ist deiner Meinung nach Juzo Itami gestorben?«
»Das war Selbstmord. Natürlich habe ich zuerst an Mord gedacht, als ich von seinem Tod hörte, aber dann habe ich erfahren, dass er an Depressionen litt. Und dies besonders schlimm, weil die
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