Tokio Vice
zufällig ein Datenaustausch-Netzwerk namens WINNY knackte – und damit die gesamte Datei der Tokioter Polizei über Tadamasa Goto. Alle wichtigen japanischen Zeitungen berichteten darüber. Ich lud mir die Dateien sofort herunter.
Es war ein Informationsorgasmus. Die Datei enthielt alle seine Flugdaten, die Namen der meisten seiner Freundinnen (mindestens 9 von 15) und andere nützliche Informationen. Jetzt wusste ich, wann er sich in der UCLA hatte operieren lassen und wer ihn begleitet hatte. Eine der genannten Freundinnen war eine berühmte Schauspielerin. Natürlich berichtete die japanische Presse darüber, denn sie liebt Klatsch über Stars. Nicht erwähnt wurde allerdings, dass Burning Productions, Japans größte und mächtigste Talentagentur, auf der Liste der Tarnfirmen stand. Mit diesem Unternehmen konnte Goto Berichte unterdrücken, die ihm nicht gefielen. Denn jeder Fernsehsender, der ihn ärgerte, lief Gefahr, von Japans bekanntesten Schauspielerinnen, Sängern und Entertainern boykottiert zu werden. Das bedeutete auch, dass er fast jede Zeitung, die zur selben Unternehmensgruppe gehörte wie der Sender, indirekt bedrohen konnte. Und die Unterhaltungssendungen waren allemal lukrativer als Nachrichtensendungen.
In diesen vielen Gigabytes fand ich vieles bestätigt, was ich seit Langem vermutet hatte. Nach einem Gespräch mit einem Informanten im amerikanischen Justizministerium und mit Kontaktleuten bei der japanischen Polizei und in der Unterwelt konnte ich das Puzzle endlich zusammensetzen.
Im Januar oder Februar 2001 erfuhr Goto von seinen Ärzten an der Showa-Universität, dass er ohne eine Lebertransplantation sterben werde. Goto hatte Hepatitis C und Herzprobleme, und seine Chance, in Japan eine neue Leber zu bekommen, waren sehr gering.
Im April 2001 nahm Hoshi Hitoshi, der ehemalige »Fixer« (Spezialist für Schmiergeldzahlungen) von Nobusuke Kishi mit sehr guten Beziehungen zur LDP, in Gotos Auftrag Kontakt mit dem FBI auf. (Kishi war zweimal japanischer Ministerpräsident gewesen. Sein Enkel Shinzo Abe wurde 2006 Ministerpräsident.) Kishi leitete Gotos Angebot weiter.
Das FBI wollte die Namen führender Yakuza haben, weil die japanische Polizei ihm diese Informationen nicht gab – aus Datenschutzgründen. Deshalb konnte das FBI die Aktivitäten der Yakuza in den USA nicht effektiv überwachen.
Goto versprach, dem FBI (vielleicht auch einer anderen Behörde) eine umfassende Liste der Yamaguchi-gumi-Mitglieder, ihrer Tarnfirmen und Banken zu überlassen und Informationen über nordkoreanische Machenschaften zu liefern.
Im Austausch für diese Informationen forderte Goto ein Visum für die USA, damit er sich an der UCLA einer Lebertransplantation unterziehen konnte.21
Zweifellos hatte Goto den Handel mit der UCLA selbst eingefädelt. Er bekam das Visum, nachdem das FBI die Einwanderungs- und Zollbehörde nachdrücklich dazu aufgefordert hatte.
An Jims Stelle hätte ich das auch gemacht, denn der Nutzen für das FBI hätte gewaltig sein können. Das FBI gab ihm aber keine Leber, sondern nur den Schlüssel zur Tür. Die UCLA besorgte den Rest. Manabu Miyazaki, ein Journalist, Fürsprecher der Yakuza und enger Freund von Goto, erzählte mir, dass das FBI nicht nur an der Yakuza interessiert gewesen sei, sondern vor allem auch an Gotos Informationen über Nordkorea. Damals druckten die Nordkoreaner nämlich erstklassige Dollarbanknoten, was den USA natürlich ein Dorn im Auge war. Goto hatte immer gute Verbindungen nach Nordkorea gehabt und bekam von dort angeblich Drogen, Waffen und Geld.
Die Operation fand am 5. Juli statt. Aber Goto gab dem FBI nur einen Bruchteil der Informationen, die er versprochen hatte. Sobald er seine Leber hatte, setzte er sich ins Flugzeug, flog zurück nach Japan und sprach nie wieder mit dem FBI. Über seine Rückkehr nach Japan gab es keine Aufzeichnungen.
Für das FBI war die ganze Geschichte also kein großer Erfolg.
Für Goto jedoch schon. Denn er war vor Jahresende wieder in Japan, ohne gelbe Augen und gesünder denn je.
Bei der jährlichen Neujahrsfeier der Yamaguchi-gumi war Goto bei bester Gesundheit. Er »aß und trank wie ein Wal«, wie die Japaner zu sagen pflegen, und rauchte wie ein Schlot.
Vor Chihiro Inagawa, einem anderen Yakuza-Boss, prahlte er sogar: »Seitdem ich die neue Leber habe, kriege ich ihn wieder jederzeit hoch.« Dabei zeigte er auf seine Leistengegend. Inagawa soll geantwortet haben: »Du hast wirklich verdammtes Glück
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