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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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dann eingesperrt wurde. Außerdem hatte Sekiguchi einen Aufstand in einem Gefängnis verhindert, indem er einen Yakuza aus der Zelle geholt und ihm eine Zigarette gegeben hatte. Damit hatte er allerdings gegen die Vorschriften der Polizei verstoßen. Der Kollege, der ihn nicht mochte, informierte einen Reporter der Mainichi Shimbun über diese Vorfälle. Die Zeitung veröffentlichte den Bericht natürlich, und alle anderen druckten ihn nach. Damit war er plötzlich ein »schlechter Polizist«.
    Er verlor seinen Posten bei der Kripo, wurde degradiert, verwarnt und für einige Jahre zur Verkehrspolizei versetzt. Das setzte ihm furchtbar zu, wahrscheinlich bekam er damals Krebs. Für mich war der eigentliche Grund für die Erkrankung eine Kombination aus Verrat, Demütigung und Enttäuschung.
    Einige Monate vor seinem Tod bat er mich um einige Dinge, und ich habe die meisten meiner Versprechen gehalten. Ich habe ihm versprochen, ab und zu nach seiner Frau und seinen Töchtern zu schauen. Und das tue ich immer noch. Es ist kaum zu glauben, dass die Töchter jetzt richtige Frauen sind. Wenn ich sie treffe, dann sehe ich immer noch das sechsjährige und das neunjährige Mädchen vor mir, die mir einreden wollten, dass ich kein Jude sei, weil alle Juden im Zweiten Weltkrieg umgekommen seien. Das hätten sie in der Schule gelernt. Die Jüngere wollte mich sogar als Musterexemplar mit in die Schule nehmen.
    Sekiguchi lebte gut. Und er starb gut. Bei unserer letzten Begegnung hatte er frisch gewirkt. Damals war mir klargeworden, dass er sterben würde. Den meisten Menschen geht es kurz vor dem Ende scheinbar besser. Geistig Verwirrte werden klarer, Krebskranke sehen gesund aus. Am Tag vor seinem Tod hatte er mit seiner Familie gesprochen und hatte viel Positives erzählt. Es war ein gutes Gespräch gewesen. Er verließ die Welt offenbar im Frieden mit sich selbst und mit seiner Familie. Das erzählte mir Frau Sekiguchi, und ich freute mich sehr darüber.
    Buddhisten glauben, dass sie nach 49 Tagen wiedergeboren werden, aber Shintoisten werden nach 50 Tagen zu einem Gott, erklärte mir die Familie Sekiguchi. Als ich ihn ansah, dachte ich: Hoffentlich stimmt das, denn es ist immer gut, einen Gott an seiner Seite zu haben.
    Ich wusste, dass ich in Schwierigkeiten war. Ich wusste, dass ich meine Familie gefährdet hatte. Und Helena wurde immer noch vermisst.
    Ich kann mich immer noch an das Lächeln auf Sekiguchis Gesicht erinnern. Es sah aus, als würde er schlafen. Im Geiste konnte ich ihn mit mir reden hören. Und ich hätte dringend seinen Rat gebraucht, hätte so gerne seine Worte gehört: »Jake, manchmal musst du dich erst zurückziehen und dann zurückschlagen. Überleg, ob das jetzt die richtige Zeit dafür ist.«
    Ich hatte auf jeden Fall genug davon, verprügelt zu werden, aber Rückzug kam wohl nicht mehr in Frage. Vielleicht war es ja an der Zeit zurückzuschlagen. Das gefiel mir auf jeden Fall besser als die Alternative.

Zwei Gifte
    Helenas Verschwinden veränderte mich. Hätte ich gewusst, was mit ihr passiert war, wäre es mir besser gegangen. Aber die Ungewissheit war schrecklich.
    Ich musste unbedingt mehr über Tadamasa Goto erfahren. Wie viel Macht besaß er? Wer waren seine Verbündeten, wer seine Feinde? Shibatas Tod war ein harter Schlag für mich, und Sekiguchis Tod ein noch härterer.
    Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich Folgendes über Goto:
    Er hatte den Vorstoß der Yamaguchi-gumi nach Tokio angeführt und besaß mehr als 100 Tarnfirmen. Sein Vermögen wurde auf über eine halbe Milliarde Dollar geschätzt. Eine Zeitlang war er sogar der größte Aktionär der Japan Airlines.
    Bekannt wurde er, weil er im Mai 1992 den angesehenen Filmregisseur Juzo Itami hatte ermorden lassen wollen. Itami hatte an einem Film mit dem Titel Minbo no onna gearbeitet, der die Yakuza im Gegensatz zu allen bisherigen Yakuza-Filmen als geldgierige, unangenehme Rüpel darstellte und nicht als edle Gesetzlose. Goto gefiel der Film nicht. Vor allem störten ihn Andeutungen, dass die Yakuza ihre Drohungen oft nicht wahr machten. Am 22. Mai überfielen daher fünf Mitglieder seiner Organisation Itami auf dem Parkplatz vor seinem Haus und verletzten ihn schwer.
    Von da an unterstützte Itami öffentlich die neuen Gesetze gegen das organisierte Verbrechen, die die japanische Regierung in diesem Jahr auf den Weg brachte, und wurde zu einem Stachel im Fleisch der Gangster. Er war der lebende Beweis dafür, was die Yakuza wirklich

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