Tokio Vice
Familie.«
Ich schrieb den Artikel noch am selben Tag, obwohl ich auch Bedenken hatte, denn womöglich war das sogar Werbung für das Buch. Dennoch fand ich es wichtig, dass noch mehr Menschen von diesem gefährlichen Werk erfuhren.
Abgesehen von Selbstmord, Sex oder Reichtum gibt es noch viele Bereiche, in denen Handbücher für Japaner wichtig sind. Auch als junger Polizeireporter hatte ich ja als Erstes das Handbuch Ein Tag im Leben eines Polizeireporters bekommen. Auch wenn das Buch spannend ist, möchte ich Ihnen das japanische Justizsystem lieber auf meine Art erklären.
Die japanische Polizei ist in Form einer Pyramide aufgebaut. Ganz oben steht der Nationale Rat für öffentliche Sicherheit, der seine Weisungen vom Kabinett des Premierministers empfängt. Dem Rat untergeordnet ist die Nationale Polizeibehörde (NPA).
Die NPA ist eine politische und administrative Behörde, die keine eigenen Ermittlungen durchführt, aber bisweilen Ermittlungen über Präfekturgrenzen hinweg koordiniert. Sie erlässt allgemeine Richtlinien für alle Polizeiorganisationen in Japan. Viele, die an die Spitze der NPA aufsteigen, haben zwar ein Examen abgelegt, besitzen aber wenig oder keine Erfahrung in der echten Polizeiarbeit.
Unter der NPA stehen die 47 Polizeibehörden der Präfekturen, die Verbrechen in ihrer Region aufklären. Den höchsten Status genießt die Polizeibehörde der Hauptstadt Tokio (TMPD), die ein wenig dem FBI ähnelt, weil sie oft Fälle übernimmt, die eher nationalen als
lokalen Charakter haben.
Die oberste Polizeibehörde einer Präfektur befehligt kleinere Polizeireviere und Außenstellen in der Umgebung, koban genannt. Die NPA macht ihre eigenen Leute zu hohen Verwaltungsbeamten in lokalen Polizeirevieren und sorgt auf diese Weise dafür, dass die NPA ihre Macht behält und keiner jemals so einen Job bekommt, der sich vor Ort und in der Polizeiarbeit auskennt und wirklich fähig wäre, eine große Polizeibehörde zu leiten. Die lokale Polizei erledigt die eigentliche Arbeit einschließlich der Ermittlungen und der Verkehrsüberwachung.
Jedes Polizeirevier besteht in der Regel aus folgenden Abteilungen: Gewaltverbrechen, Betrug, Wirtschaftskriminalität, Verkehr, Jugendstraftaten, Verbrechensverhütung und Sitte. Hinzu kommt ein Dezernat für das organisierte Verbrechen. Drogen, Kreditkartenbetrug und Menschenhandel zählen in manchen Präfekturen zum organisierten Verbrechen, aber die Grenzen sind hier nicht eindeutig abgesteckt.
In den meisten großen Fällen übernehmen Beamte aus den Hauptquartieren die Ermittlungen, und ihre Kollegen in den örtlichen Revieren arbeiten ihnen zu. Sie übernehmen die Laufarbeit, fahren die Limousine des Leiters des Morddezernats, besorgen das Mittagessen für ihre Vorgesetzten und sind ansonsten den Launen des honbu (Hauptquartiers) ausgesetzt. Wenn die TMPD mit anderen Präfekturen zusammenarbeitet, ist sie eine Art honbu und erwartet von allen anderen, die Rolle der untergeordneten Reviere zu spielen.
Auch unter Polizeireportern gibt es eine Hierarchie. In Tokio sind die Reporter des TMPD-Presseclubs für die Polizeihauptquartiere und ihre Verlautbarungen zuständig. Die Distriktreporter übernehmen bestimmte Viertel von Tokio.
Ein Jungreporter sollte sich mit einfachen Polizisten anfreunden und interessante Fälle aufreißen, bevor das Hauptquartier sie übernimmt. Wer wirklich gut ist, stößt schon ganz unten in der Hierarchie auf einen Knüller. Das bedeutet meist, von einer Verhaftung zu erfahren, ehe sie offiziell verkündet wird.
Die Polizei veröffentlicht regelmäßig kurze Presseerklärungen, und von einem Reporter wird dann erwartet, dass er die bestehenden Lücken füllt, indem er telefonisch Fragen stellt oder den Tatort aufsucht.
Jeder große Fall wird im Voraus angekündigt, und zusätzlich zu der mageren Presseerklärung gibt es mündliche Erläuterungen im Presseclub, der sich im Hauptquartier einer Präfektur befindet. Auch manche größere Polizeireviere haben einen Raum für die Presse.
Natürlich haben nicht alle Reporter Zugang zu diesen Presseclubs.
Nicht im Reporterhandbuch steht, wie man mit Polizisten umgehen muss, obwohl das wahrscheinlich ganz entscheidend ist. Irgendwann einmal habe ich jemanden sagen hören, dass ein Polizeireporter eine »männliche Geisha« sei. Das beschreibt ziemlich gut, was Reporter tun müssen, um eine Story zu bekommen – zumindest einige von uns. Manchen Leuten muss man eine Menge Honig ums Maul
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