Tokio Vice
mehr als 100 Untergruppen. Jede Gruppe muss Monatsbeiträge zahlen, die an die Spitze der Organisation fließen. Die Zentrale der Yamaguchi-gumi nimmt somit jeden Monat allein dadurch mehr als 50 Millionen Dollar ein, und das ist noch zurückhaltend geschätzt. Begonnen hat die Yamaguchi-gumi als Hafenarbeitergewerkschaft in Kobe. Im Chaos nach dem Zweiten Weltkrieg breitete sie sich dann in die Industrie aus. Japans Polizeibehörde schätzt, dass die Verbrechersyndikate des Landes, einschließlich der Yamaguchi-gumi, aus 86 000 Gangstern bestehen und somit viel größer sind als die amerikanische Mafia auf dem Gipfel ihrer Macht.
Die Yakuza sind wie eine Familie strukturiert. Neue Mitglieder schwören dem Vater, dem oyabun , Treue. Bindungen werden gefestigt durch rituellen Sake-Austausch und die Gründung von Bruderschaften. Geschäftsleute dürfen kigyoshatei , also Unternehmensbrüder werden. Jede Organisation ist wie eine Pyramide aufgebaut.
Die heutigen Yakuza sind findige Unternehmer, eher »Geschäftsleute mit Gewehren« als ein Haufen tätowierter Strolche in weißen Anzügen, die Samuraischwerter schwingen. Ein Bericht der Nationalen Polizeibehörde warnte 2007 vor Yakuza, die ins Wertpapiergeschäft eingestiegen seien und Hunderte von börsennotierten Firmen infiltriert hätten: »Dieses Übel wird die Grundfesten der Wirtschaft erschüttern.« Laut der Übersicht über die japanische Polizei , einem Dokument in englischer Sprache, das die Polizeibehörde im August 2008 an ausländische Polizeibehörden verteilt hat, sind die »Boryokudan (Yakuza) eine enorme Bedrohung für das öffentliche Leben und das unternehmerische Handeln. Sie begehen verschiedene Verbrechen, um Geld zu beschaffen, wobei sie in die legale Wirtschaft eindringen und vorgeben, legale Geschäfte zu betreiben. Zu diesem Zweck gründen sie Firmen, die sie selbst führen, oder sie arbeiten mit anderen Firmen zusammen.«
Die Yakuza haben in Japan seit Langem einen ganz ambivalenten Status. Wie ihre italienischen Vettern haben sie starke, wenn auch verschleierte Verbindungen zu der Regierungspartei, in Japan also zu der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Robert Whiting, der Autor von Tokyo Underworld , und andere Experten weisen darauf hin, dass die LDP sogar mit Yakuza-Geld gegründet wurde. Dies ist ein derart offenes Geheimnis, dass es sogar Comics gibt, die davon handeln. Premierminister Koizumi Junichiros üppig tätowierter Großvater war Mitglied der Inagawa-kai. Er diente als Minister und hieß bei seinen Wählern irezumidaijin (»der tätowierte Minister«). Da die Yakuza Streitigkeiten früher weitestgehend unter sich austrugen und die Familien anderer Gangster oder die von »Nichtmitstreitern« nicht behelligten, waren sie vor dem Zorn der Bürger und der Aufmerksamkeit der Polizei sicher. Sie galten eher als »notwendiges Übel« oder gar »zweite Polizei«, die Japans Straßen von Räubern und gewöhnlichen Dieben säuberte. Trotzdem galten sie immer auch als Gesetzlose.
Diese Ambivalenz hätte 1992 enden sollen, als die Regierung zur Strafe für die Exzesse der Yakuza während der Blütezeit in den Achtzigerjahren ein strenges Gesetz gegen das organisierte Verbrechen beschloss. Damals stiegen die Kriminellen massenhaft in den Immobilienhandel und andere legale Geschäfte ein. Doch der Staat hat die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung immer noch nicht für illegal erklärt, und die Polizei verfügt immer noch nicht über die Hilfsmittel, die in anderen Ländern im Kampf gegen die Mafia als unentbehrlich gelten: Telefonüberwachung, mildere Strafen für Geständige und Zeugenschutzprogramme.
Es ist auch unwahrscheinlich, dass die japanische Polizei demnächst solche radikalen Maßnahmen gegen die Yakuza ergreifen darf. Die Organisation ist in mancher Hinsicht stärker denn je, obwohl die ersten Gesetze gegen sie schon vor beinahe 17 Jahren verabschiedet wurden.
Die Yamaguchi-gumi besitzt ein Grundstück, das von hohen Mauern umgeben ist, in einem der reichsten Teile von Kobe. Sie besitzt Immobilien, und es gibt keine Möglichkeit, sie daraus zu vertreiben. Das liegt natürlich daran, dass sie in Japan als legale Organisation gilt. Ihre Mitglieder haben die gleichen Rechte wie normale Bürger, und die verschiedenen Gruppen gelten als Vereine – wie der Rotary Club. Selbst wenn ihr das Gebäude nicht gehört, in dem sie Büros eingerichtet hat, sondern nur gemietet ist, ist es nahezu unmöglich, Verträge zu
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