Tokio Vice
brauchen mehr Zeit, sodass die Polizei sie leichter schnappen kann. Eine andere Möglichkeit ist es, Tintenkapseln in den Geräten unterzubringen. Wenn ein Automat geschüttelt oder umgekippt wird, spritzt Tinte auf die Banknoten und markiert sie. In Japan sind die Geldautomaten der Banken jedoch versichert, sodass sie keinen einzigen Yen verlieren, wenn sie beraubt werden. Sie bezahlen daher lieber die Versicherungsprämie, als ihre Geräte für teures Geld sicherer zu machen. Gegen die Tinte hat außerdem die Bank von Japan ihr Veto eingelegt, da sie keine verschmierten Banknoten gegen saubere eintauschen möchte. Der Schwarze Peter bleibt also bei der Polizei.
Zuerst suchte ich das Polizeirevier von Saitama auf und erkundigte mich nach den sieben Diebstählen in der Gegend. Die Leute, die ich schon vor zehn Jahren kontaktiert hatte, darunter einige meiner guten Informanten, waren auf der Karriereleiter nach oben gestiegen, sodass es nun oft leichter war, Antworten zu bekommen. Sie erinnerten sich noch an mich, weil ich ihnen nach meinem Abschied immer Neujahrskarten geschickt hatte. In Japan versendet man jedes Jahr Neujahrsgrüße. Wer das nicht tut, gilt als Außenseiter. Ich fand diesen Brauch zwar furchtbar, aber trotzdem brachte ich die Karten jeden Dezember wieder pflichtbewusst zur Post, damit die Leute sich an mich erinnerten.
Kaum hatte ich den zweiten Stock betreten, da begegnete ich dem ehemaligen Chef der Eisenbahnpolizei: »Jake, danke für die Neujahrskarte. Ihr Sohn ist wirklich hübsch.« Ich verzichtete auf den Hinweis, dass das süße Baby eine Tochter war. Auch andere Leute blieben stehen und begrüßten mich. Danach klopfte ich bei Chiba an, der früher eine Einsatzgruppe für das organisierte Verbrechen geleitet hatte und jetzt Chef der Sitte war. Er hatte ein eigenes Büro mit großem Schreibtisch, zwei Sofas und einem Marmortisch mit einem kristallenen Aschenbecher und einem kristallenen Feuerzeug. Und er durfte sogar im Gebäude rauchen. Besser konnte es einem bei der Polizei von Saitama nicht gehen.
Chiba begrüßte mich herzlich. Die Automatendiebstähle, erklärte er mir, würden dadurch erleichtert, dass die meisten japanischen Baumaschinen mit einem Generalschlüssel betrieben würden, sodass jeder Arbeiter jede Maschine bedienen könne, ohne lange nach einem Schlüssel suchen zu müssen. Sogar Maschinen von verschiedenen Herstellern ließen sich mit einem einzigen Schlüssel einschalten. Wer einen Schlüssel besaß, konnte also in jede beliebige Firma gehen und eine Maschine stehlen. Niemand war bereit, Geld für einen Austausch der Schlösser zu investieren. Zumal die Verbrecher sich die Maschinen meist nur ausliehen und sie dann irgendwo stehen ließen.
Nun gingen Chiba und ich zu Yoshimura, der jetzt die Abteilung Diebstahl leitete. Sein Stellvertreter Kohata war früher Vizepolizeichef von Omiya gewesen. Ich kannte alle drei. Wir gingen in ein Restaurant, aßen Aal mit Reis und plauderten. Sie erkundigten sich nach meiner Familie, und als ich ihnen Bilder meiner Tochter und meiner Frau zeigte, waren sie überrascht. Denn Sunao ist nach japanischen Maßstäben ziemlich attraktiv, und sie konnten wohl kaum glauben, dass sie sich ausgerechnet mit mir eingelassen hatte. Dann gab es den üblichen Streit wegen der Rechnung. Ich hoffte, dass ich zahlen durfte, weil die anderen dann in meiner Schuld stünden. Das ist nicht unwichtig, wenn man es mit älteren Japanern zu tun hat, die noch am Ehrenkodex festhalten. Leider hatte ich keine Chance, weil Chiba schon im Voraus für das Essen bezahlt hatte.
Kohata informierte mich über die neuesten Trends bei Automatendiebstählen und Hauseinbrüchen. Seit Kurzem hatte wohl die Zahl der Einbrüche, die von Chinesen begangen wurden, enorm zugenommen. Offenbar sind Chinesen besonders geschickt darin, Schlösser zu knacken. Nach der ersten Einbruchswelle hatten die Leute sich allerdings stärkere Schlösser angeschafft, und darum benutzten die Ganoven jetzt Bohrmaschinen, Korkenzieher und – niedliche kleine Aufkleber. Warum Aufkleber? Weil sie damit das Bohrloch im Schloss zukleben konnten, sodass Passanten nichts Auffälliges bemerkten, während der Dieb im Haus nach Beute suchte.
Ich fuhr auch nach Yoshikawa im Osten von Saitama, um den letzten Tatort eines Automatendiebstahls zu besichtigen. Als ich versuchte, einen Zeugen zu finden, schlugen mir alle die Tür vor der Nase zu und riefen, sie bräuchten keine Zeitung. Es war ein
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