Tokio
von sich, während sie auf und ab wippte und versuchte, ihm auf den Rücken zu klopfen.
»Raus hier! Raus hier!« Der Chimpira scheuchte die jungen Frauen Richtung Korridor. Andere Hostessen folgten so eilig, dass sie sich gegenseitig anrempelten, während sie quiekend und kreischend den Flur entlangtrippelten. Der Chimpira sah zu Fuyuki, der inzwischen auf dem Boden kniete und sich zuckend an die Kehle fasste. »Raus hier!«, brüllte der Chimpira. »Verschwindet! Raus!«
Ich zitterte. Statt der Menge zu folgen, entfernte ich mich von der Glastür und ging eilig am Swimmingpool vorbei auf den gegenüberliegenden Korridor zu. Der Innenhof lag still und verlassen da, nur das blinkende rote Lämpchen wurde vom Wasser reflektiert. Im Esszimmer klingelte das Telefon, und jemand brüllte Befehle.
»Ogawa. Ogawa!« Es war das erste Mal, dass ich hörte, wie jemand die Krankenschwester beim Namen nannte. »Ogawa!
Wo, zum Henker, bist du?«
Ich ging mit entschlossener Miene auf die gegenüberliegende Tür zu. Die Geräusche hinter mir verebbten. Als ich schon fast mein Ziel erreicht hatte, öffnete sich die Tür vor mir, und die Krankenschwester trat heraus. Sie kam benommen auf mich zu, rückte dabei im Gehen ihre Perücke zurecht und strich ihre verrutschte Kleidung glatt.
Vielleicht begriff sie erst jetzt den Ernst der Lage, denn sie war wie in Trance. Zuerst dachte ich, sie hätte mich nicht gesehen, doch als wir uns einander näherten, streckte sie ganz automatisch die Hand aus und zog mich mit sich in Richtung Esszimmer. Ich machte ein paar Schritte rückwärts, passte mich ihrem Tempo an, schwenkte dann jedoch seitwärts ab, in der Hoffnung, ihr zu entwischen. Ich ließ meinen Blick über die verschiedenen Türen und Fenster schweifen, suchte nach etwas, durch das ich entkommen konnte. Dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts der Chimpira auf und ergriff meine Hand, als wäre ich ein kleines Kind.
»Lass mich los!«, sagte ich und starrte auf seine Hand. Doch er führte mich zurück ins Esszimmer, der Krankenschwester hinterher. »Lass mich los!«
»Raus hier! Verschwinde mit den anderen. Sofort!«
Er bugsierte mich durch die Tür, schubste mich in das Durcheinander. Im Zimmer herrschte völliges Chaos. Männer, die ich nie zuvor gesehen hatte, waren aufgetaucht, und Leute rannten die Flure entlang. Ich blieb inmitten einer Traube von Hostessen stehen, die nicht wussten, was sie tun sollten. Die Krankenschwester bahnte sich einen Weg durch die Menge, stieß Leute mit ihren Ellbogen beiseite. Am anderen Ende des Raums fiel krachend eine Lampe zu Boden.
»Meine Handtasche!«, jammerte Irina, die ahnte, dass wir alle gleich aus dem Apartment flogen. »Meine Handtasche ist noch da drin. Was ist mit meiner Handtasche?«
Mit einer einzigen fließenden Bewegung hob die Krankenschwester Fuyuki auf und trug ihn mühelos wie ein Kleinkind zu einem Sofa am Fenster. Sie beugte seinen Oberkörper nach vorn, legte dann beide Arme um seinen Brustkorb, ihr Gesicht an seinem Rücken, und drückte ruckartig zu. Seine kleinen Füße hoben sich kurz wie bei einer Marionette und sackten dann wieder auf das Sofa. Die Krankenschwester versuchte es noch einmal. Seine Füße vollführten abermals ihren kleinen Marionettentanz, dann ein drittes Mal, und diesmal musste etwas herauskatapultiert worden sein, denn jemand deutete auf den Boden. Ein Kellner wischte es diskret mit einer Serviette auf, und jemand anders sank in einen Sessel und vergrub erleichtert sein Gesicht in den Händen.
»Arigate-e!«, seufzte einer der Kumpane und presste glücklich seine Hände an die Brust. »Yokatta!«
Fuyuki atmete. Die Krankenschwester trug ihn zu seinem Rollstuhl und setzte ihn hinein. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf ihn, zusammengesackt, die Hände schlaff herabbaumelnd, den Kopf kraftlos zur Seite geneigt. Der Kellner versuchte, ihm ein Glas Wasser einzuflößen. Die Krankenschwester kniete neben ihm und fühlte seinen Puls. Ich hatte keine Gelegenheit, die Szene weiterzuverfolgen, denn ein dicker Mann in spitzen Stiefeln tauchte auf und scheuchte alle Hostessen den Korridor entlang auf den Fahrstuhl zu.
42
Der Legende nach lebte vor zweitausend Jahren die wunderschöne Miao-shan, die jüngste Tochter von König Miaochuang. Sie weigerte sich zu heiraten, widersetzte sich damit den Wünschen ihres Vaters, und in seinem Zorn verbannte er sie ins Exil, wo sie auf einem Berg namens Xi-angshan, Duftender Berg, lebte, die Früchte
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