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Tokyo Love

Tokyo Love

Titel: Tokyo Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hitomi Kanehara
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unverschämten Shiba-san einen flüchtigen Kuß. »Danke schön.«
    Die beiden Worte – völlig unangemessen in dieser düsteren Atmosphäre – schwebten ziellos im Raum.
    Wir kehrten in den Laden zurück, und Shiba-san schloß die Tür wieder auf.
    »Mann, viel los ist hier ja nicht gerade.«
    »Die meisten kommen zum Piercen oder Tätowieren. Die machen dann einen Termin. Es ist nicht die Art von Laden, wo die Leute einfach nur mal reinschauen.«
    »Aha.«
    Ich setzte mich auf einen Stuhl hinter der Theke und streckte meine Zunge raus, um das Kügelchen zu betasten. Es tat nicht mehr weh.
    »Sag mal, können wir jetzt nicht einen 12er reintun?«
    »Nein, noch nicht. Du mußt den da etwa einen Monat lang drinbehalten. Ich hab dir ja gesagt, du sollst gleich einen 12er nehmen«, polterte Shiba-san zurück.
    »Meldest du dich, wenn du den Tattoo-Entwurf fertig hast?«
    »Komm einfach mit Ama her und sag ihm, du willst dir Ohrringe anschauen. Dann kann ich dir die Vorlage so ganz nebenbei zeigen.«
    »Ruf mich am besten tagsüber an, wenn Ama arbeitet.«
    »Ja, ja, mach ich«, sagte Shiba-san beiläufig, während er etwas im Regal sortierte. Als ich nach meiner Tasche griff, bereit zu gehen, wandte er sich abrupt zu mir um. Ich blieb wie angewurzelt stehen und schaute ihn fragend an.
    »Ich bin übrigens ein Kind Gottes«, sagte er, ohne die Miene zu verziehen. Sollte das ein Witz sein?
    »Ein Kind Gottes? Klingt irgendwie nach Schundroman …«
    »Um den Menschen zu erschaffen, muß Gott ja wohl ein absoluter Sadist sein.«
    »Und Maria ist dann maso, ja?«
    »Genau«, erwiderte Shiba-san und wandte sich wieder dem Regal zu. Ich griff nach meiner Tasche und entfernte mich vom Tresen.
    »Willst du nicht noch einen Bissen zu dir nehmen, bevor du gehst?«
    »Lieber nicht, Ama ist bestimmt schon zurück.«
    »Ach so, na, dann mach’s gut!«
    Shiba-san rubbelte mir zum Abschied unsanft über den Kopf, worauf ich seinen rechten Arm ergriff und den Kirin streichelte.
    »Der wird ganz toll, den ich dir zeichne.«
    Ich schenkte ihm ein Lächeln, winkte kurz und drehte mich auf dem Absatz um. Die Sonne ging bereits unter, als ich hinaus ins Freie trat. Es war so kalt, daß es mir den Atem verschlug. Ich nahm die Bahn und fuhr zu Ama. In der Einkaufsstraße auf dem Weg zu seiner Wohnung wimmelte es von Familien. Das laute Krakeelen war zum Kotzen. Ich schlenderte dahin, bis ein kleines Kind über meine Füße stolperte. Die Mutter warf mir einen kurzen Blick zu, tat dann aber so, als wäre nichts geschehen. Ich blickte in das zu mir aufschauende Kindergesicht, das kurz davor war loszuplärren. Ich schnalzte mit der Zunge und ging eilig weiter. In dieser Welt habe ich nichts verloren, dachte ich voller Inbrunst. Im Reich der Finsternis soll mein Körper glühen.
     
    Als ich in Amas Wohnung eintraf, warf ich meine Kleidung sofort in die Waschmaschine. Begehren verströmt immer einen süßen Duft, der jetzt meinen Klamotten anhaftete. Dann ging ich unter die Dusche und wusch mich gründlich von Kopf bis Fuß. Wieder im Zimmer, zog ich ein Paar Bluejeans und eins von Amas T-Shirts über. Nachdem ich mich ein wenig geschminkt hatte, fönte ich meine Haare und hängte das gewaschene Kleid draußen zum Trocknen auf. Als ich mich endlich hinsetzte, hörte ich Ama zur Tür reinkommen.
    »Hallo, ich bin’s!«
    »Ah, hallo!«
    Erleichtert nahm ich wahr, daß Ama vor Zufriedenheit strahlte.
    »Mann, ich war heute den ganzen Tag hundemüde«, bemerkte er laut gähnend. Kein Wunder, wir hatten ja auch die ganze Nacht durchgesoffen. Ich war ebenfalls total groggy. Nachdem Ama am Morgen fortgegangen war, konnte ich nicht mehr einschlafen und hatte deshalb Shiba-san angerufen. Heute war alles wie am Schnürchen gelaufen, so ganz nach meiner Vorstellung. Und der absolute Höhepunkt des Tages war die Begegnung mit dem Kirin. Ich konnte es kaum erwarten, bis er in meinem Körper hauste. Mochte Ama Amadeus und Shiba-san ein Kind Gottes sein – mir war es völlig egal, neben ihnen nur als Durchschnittsmensch zu gelten. Hauptsache, ich gehörte zum Underground, einer Welt, wo garantiert kein Sonnenstrahl hingelangte, wo weder Liebeslieder noch Kinderlachen erklangen.
    Wir aßen eine Kleinigkeit in einer Kneipe, gingen anschließend gleich wieder heim und hatten Sex. Ama war so erschöpft, daß er sofort in einen komatösen Schlaf fiel. An einer Flasche Bier nippend, saß ich da und betrachtete sein schlafendes Gesicht. Ob er, wenn er

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