Tokyo Love
herausbekommen sollte, daß Shiba-san und ich miteinander gevögelt hatten, dazu fähig sein würde, mich genauso zusammenzuschlagen wie den Mistkerl von gestern nacht? Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann würde ich mich lieber von dem göttlichen Kind als von Amadeus umbringen lassen. Aber das göttliche Kind würde bestimmt nicht soweit gehen. An Amas Hand, die schlaff von der Bettkante herunterhing, blitzte der kantig-schroffe Silberklopper auf. Um mich abzulenken, schaltete ich den Fernseher ein. Ich zappte durch das gesamte Nachtprogramm, doch es liefen bloß grelle Unterhaltungsshows oder öde Dokumentationen. Darauf konnte ich verzichten. In Amas Zimmer lagen nur Zeitschriften mit Männermode herum. Zugang zu seinem Computer hatte ich auch nicht. Mit einem leicht genervten Zungenschnalzen griff ich mir die Tageszeitung. Es war eine billige Sportgazette, die mir derzeit als einzige Informationsquelle für gesellschaftliche Belange diente. Zuerst überflog ich das Fernsehspätprogramm auf der letzten Seite und blätterte dann von hinten nach vorne. Das einzige, was man hier erfuhr, war, daß in Japan täglich Morde geschahen und die Sexbranche ebenfalls unter der Rezession zu leiden hatte. Doch plötzlich sprang mir eine eher unscheinbare Schlagzeile ins Auge:
Neunundzwanzigjähriger Gangster gestern in Shinjuku zu Tode geprügelt
Mir fiel sofort der Typ von gestern ein. Aber der hatte doch viel älter gewirkt. Wenn der tatsächlich Ende Zwanzig gewesen sein sollte, hatte er aber arg verbraucht ausgesehen, verglichen mit Ama und mir. Nun ja, es könnte sich genausogut um einen ähnlichen Vorfall im gleichen Stadtteil handeln. Ich holte tief Luft und begann den Artikel zu lesen:
Das Opfer starb noch auf dem Weg zur Klinik. Der Täter befindet sich auf der Flucht. Nach Aussage eines Augenzeugen handelt es sich um einen rothaarigen schlaksigen Mann Mitte Zwanzig, zwischen 1,75 und 1,80 Meter groß.
Ich blickte zu Ama hinüber, verglich ihn mit der Beschreibung des Täters und legte die Zeitung beiseite.
Angenommen, der Augenzeuge wäre jener Kumpel des Ermordeten gewesen, dann hätte er doch als auffälligste Merkmale beim Täter dessen Tätowierung sowie das mit Piercings gepflasterte Gesicht erwähnen müssen. Komisch! Aber nun gut, damit war Ama aus dem Schneider. Ein völlig grundloser Verdacht, den ich da hegte.
Bestimmt war es ein anderer Typ – einer, der Ama irgendwie ähnlich sah –, der den Neunundzwanzigjährigen erschlagen hatte, während der, auf den Ama eingedroschen hatte, noch am Leben war. Daran glaubte ich felsenfest. Dann nahm ich meine Tasche, verließ das Apartment und lief eilig zum Supermarkt, wo ich ein Bleichmittel und aschgraue Haarfarbe kaufte. Als ich in die Wohnung zurückkehrte, schlummerte Ama noch, und ich rüttelte ihn wach.
»Äh? Lui? … Was ist denn?«
Schlaftrunken richtete er sich auf. Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und bugsierte ihn zum Spiegel.
»He, was hast du vor?«
»Was ich vorhabe? Och, nichts weiter. Wir ändern bloß mal deine Haarfarbe. Dieses gräßliche Rot muß weg. Das hat mir von Anfang an nicht gefallen.«
Ich sagte ihm, er solle bis auf die Boxershorts alles ausziehen, und er, noch völlig benommen, folgte gehorsam.
»Rotes Haar paßt nun wirklich nicht zu dunkler Haut. Du leidest echt an Geschmacksverirrung, mein Lieber«, erklärte ich ihm, während ich das Bleichmittel anrührte. Die beißenden Dämpfe stiegen mir in die Nase, und ich verzog angewidert das Gesicht. Ama lächelte selig.
»Lui, du bist so lieb zu mir. Ich verspreche dir, meinen Stil zu kultivieren, wenn du mir dabei hilfst.«
»Ja, ja«, erwiderte ich. Ich war erleichtert, Ama reagierte zum Glück bereitwillig. Er schien wohl doch ein sonniges Gemüt zu haben.
Mit einem Kamm scheitelte ich sein Haar und begann das Bleichmittel aufzutragen. Auch wenn die neue Haarfarbe nicht das Wesentliche verändern würde, sollten wir dennoch alles versuchen, was möglich war. Ich verbrauchte etwa die halbe Packung. Nach dem Ausspülen fönte ich sein Haar trocken. Es war jetzt blond statt rot. Ein Friseur hatte mir mal gesagt, wenn man von einer Haarfarbe zu einer völlig neuen wechseln wolle, müsse man zuerst die alten Pigmente vollständig rausziehen. Also wiederholte ich die gesamte Prozedur, bis seine Haare fast weiß gebleicht waren. Ich fönte das Haar abermals, bis es knochentrocken war, und trug dann die aschgraue Farbe auf. Ama schien immer noch nicht ganz wach
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