Tokyo Love
erfreut war mein Chef nicht gerade darüber, aber was soll’s?«
Ama, der meinen sarkastischen Tonfall offenbar überhört hatte, grinste naiv. Ich stopfte das Kleenex unauffällig unter das Laken. Als Ama mein Tattoo erblickte, flippte er vor Begeisterung aus.
»Mensch, das sieht ja irre aus«, schrie er und bedankte sich bei Shiba-san.
»Sag mal, Kumpel, du hast doch hoffentlich nichts mit meiner Kleinen angestellt?«
»Sei unbesorgt, ich steh nicht auf Klappergestelle.«
Ama wirkte erleichtert.
»Äh, warum …?« begann er und blickte mich fassungslos an. Schuldbewußt sah ich zu ihm hin. Shiba-san schien es ähnlich zu ergehen, denn ich bemerkte, wie er die Stirn runzelte.
»Wieso haben der Drache und der Kirin keine Augen?«
Erleichtert seufzte ich auf.
»Ich habe darum gebeten«, sagte ich. Dann gab ich ihm die gleiche Erklärung wie zuvor Shiba-san.
»Verstehe«, erwiderte Ama mit einem bekräftigenden Nicken.
»Aber mein Drache hat Augen und ist trotzdem nicht davongeflogen.«
Ich gab ihm einen Klaps auf den Kopf für seine blöde Bemerkung und sein albernes Grinsen, dann streifte ich den Träger meines Kleides wieder hoch.
»Eine Zeitlang nicht baden und beim Duschen aufpassen, daß da kein Wasser rankommt. Wenn du dich mit dem Handtuch abtrocknest, die Stelle keinesfalls rubbeln. Zweimal am Tag desinfizieren, und danach am besten eine Heilcreme auftragen. Und möglichst nicht dem Sonnenlicht aussetzen. Nach einer Woche wird sich Schorf bilden. Den keinesfalls abkratzen. Sobald der Schorf abgefallen und die Schwellung zurückgegangen ist, machen wir weiter. Melde dich, wenn der Schorf ab ist.«
Shiba-san klopfte mir sanft auf die Schulter.
»Okay«, erwiderten Ama und ich wie aus einem Munde. Typisch Ama!
»Wollen wir zusammen was essen gehen?« fragte er nun Shiba-san, der jedoch ablehnte. So früh am Tag würde er noch nichts runterkriegen, ich verließ mit Ama den Laden. Auf dem Heimweg versuchte ich angestrengt, einen Blick auf meinen Rücken zu erhaschen, wo der Drache und der Kirin tanzend aus dem Ausschnitt meines Kleides hervorlugten. Ich bemerkte, daß Ama mich mißtrauisch musterte, und sah ihn fragend an. Doch Ama schaute weg und schmollte. Seine Schweigsamkeit machte mich wütend, und ich beschleunigte mein Tempo, bis ich einen halben Schritt vor ihm lief. Ama faßte mich an der Hand, immer noch mit eingeschnappter Miene, und zog mich an seine Seite.
»Sag mal, Lui, wieso hast du heute ein Kleid angezogen? Du warst beim Tätowieren doch bis auf den Slip völlig nackt, oder?«
Ich strafte seine idiotische Bemerkung mit einer verärgerten Grimasse. Ama schaute mit finsterer Miene zu Boden.
»Ich dachte, ein luftiges Kleid wäre hinterher angenehmer auf der Haut als ein enges T-Shirt.«
Wortlos, mit hängendem Kopf lief Ama weiter, während er den Griff um meine Hand verstärkte.
Als wir an einer roten Ampel stehenblieben, sah er mich schließlich an.
»Sag mal, findest du mich eigentlich peinlich?«
Er war so niedergeschlagen, daß ich sogar fast ein wenig Mitleid mit ihm empfand. Es brach mir das Herz, wenn jemand sich so voller Leidenschaft einem anderen auslieferte.
»Ein bißchen schon«, beantwortete ich seine Frage. Er lächelte beklommen. Ich schickte ihm ein mildes Lächeln zurück, worauf er mich stürmisch umarmte. Da wir mitten auf einer belebten Geschäftsstraße standen, glotzten die Passanten natürlich neugierig zu uns herüber.
»Findest du Typen, die sich lächerlich machen, denn blöd?«
»Irgendwie schon.«
Ama preßte mich so fest an sich, daß mir fast die Luft wegblieb.
»Verzeih mir! Aber du weißt es doch längst: Ich liebe dich, Lui!«
Als Ama seine Umklammerung schließlich löste, sah ich, daß seine Augen rot unterlaufen waren wie bei einem Junkie. Ich strich ihm über den Kopf, und er lachte kindisch.
An diesem Tag ließ ich mich vollaufen, bis ich buchstäblich aus den Latschen kippte. Ama machte es ja ohnehin Spaß, sich um mich zu kümmern. Seit dem Vorfall in Shinjuku war nun ein Monat vergangen, und Ama war immer noch an meiner Seite.
Es wird schon alles glattgehen, versuchte ich mir einzureden, um mein Gewissen zu beruhigen. Bald würde die Tätowierung vollendet und meine Zunge gespalten sein. Was, fragte ich mich, würde mir wohl dann einfallen? Ich dachte darüber nach, daß ich eigenmächtig etwas veränderte, was sich bei einem normalen Lebenswandel aller Voraussicht nach nicht verändern würde. Versündigte ich mich mit
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