Tokyo Love
lächelnd in die Augen.
»Ich werde dir eine superschöne Tätowierung machen.«
Seine Worte klangen zutiefst überzeugt, und ich war dankbar, jemandem wie ihm begegnet zu sein.
»Ich fühle mich gut aufgehoben in deinen Händen.«
»Du meinst meine göttlichen Hände …«, entgegnete Shiba-san mit einem sarkastischen Lächeln und spreizte abrupt die Finger. »Aber was, wenn ich beim Tätowieren plötzlich den Impuls verspüre, dich zu töten?« Sein Blick wurde eiskalt, als er seine Hände betrachtete.
»Na und? Dann soll es eben so sein«, sagte ich und nahm einen Schluck Bier. Ich bemerkte, daß Ama sich näherte.
»Ich fühle das zum ersten Mal, dieses starke Verlangen, jemanden umzubringen.«
Shiba-san hatte den Satz gerade beendet, als Ama arglos lachend an den Tisch zurückkehrte.
»Puh, das Klo ist vollgekotzt. Hätte mich fast selbst übergeben.«
Mit dieser Bemerkung kippte die Stimmung wieder ins gewohnt Normale. Ich saß hier mit zwei Typen zusammen, von denen der eine um meinetwillen jemanden bewußtlos geschlagen hatte, während der andere starke Gelüste verspürte, mich zu töten. Wer von beiden würde es wohl sein, der mich eines Tages tatsächlich umbrachte?
Zwei Tage später holte Ama sämtlichen Alkohol aus dem Kühlschrank und verstaute ihn im Schrank, den er mit einem Vorhängeschloß verriegelte.
»Mann, ich bin doch keine Säuferin«, empörte ich mich.
»Anscheinend doch«, erwiderte Ama und ließ den Schlüssel in seine Tasche plumpsen.
»Wer rennt denn hier zum nächsten Supermarkt und besorgt sich Bier, wenn ich nicht da bin, häh?«
Mit diesen Worten verließ er die Wohnung, um zur Arbeit zu gehen. Für wie bescheuert hielt er mich eigentlich?
Pah, was sollte es mir schon ausmachen, mal einen Tag ohne Alkohol auszukommen, dachte ich und gab dem Schrank einen Tritt.
Doch zugegeben, als der Zeitpunkt nahte, wo Ama nach Hause kam, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an Bier. Schlagartig wurde mir bewußt, daß es in der letzten Zeit keinen einzigen Tag gegeben hatte, an dem ich nicht von Mittag bis in die Nacht gesoffen hatte. Es war mir gar nicht aufgefallen, wie sehr ich mich schon daran gewöhnt hatte, wie stark bereits die Abhängigkeit war.
Als Ama nach Hause kam, schleuderte ich ihm meinen aufgestauten Frust entgegen, worauf er – offensichtlich hatte er damit gerechnet – mich zu beruhigen versuchte.
»Hab ich’s dir nicht gesagt? Du hast dich da wohl ein bißchen überschätzt. Du hältst es nämlich gar nicht mehr ohne Stoff aus.«
»Ach, leck mich«, tobte ich. »Ich brauch das Zeug nicht, hörst du? Mich regt nur deine blöde Visage auf.«
»Ja, ja, red nur. Alkohol ist jedenfalls gestrichen. Wir gehen was essen, und dann ab ins Bett. Denk dran, morgen ist ein bedeutsamer Tag.«
Von Ama derart zur Vernunft gebracht zu werden nervte mich noch mehr. Vor mich hin grollend machte ich mich ausgehfertig.
Unser Abendessen bestand aus einer Rindfleisch-Terrine und Softdrinks. Mein Magen rebellierte gegen das völlig übersüßte Gericht. Ich mußte es mit Shichimi-Würze neutralisieren, um es überhaupt runterzukriegen. Ama überwachte meine Handlungen wie eine Glucke. Sein mütterliches Gehabe machte mich rasend, und ich schlug ihn – wer weiß wie oft – ärgerlich auf den Kopf.
Zu Hause angekommen, kommandierte Ama mich in einer Tour herum. Nach dem Baden steckte er mich in ein Sweatshirt und zwang mich, heiße Milch mit Zucker zu trinken. Dann schickte er mich ins Bett, obwohl es gerade mal acht war.
»Ich kann jetzt unmöglich schon schlafen. Was glaubst du, wann ich gestern ins Bett gegangen bin?«
»Reiß dich zusammen und versuch es wenigstens. Soll ich Schäfchen für dich zählen?«
Ama begann unaufgefordert mit dem Zählen, bis ich schließlich nachgab und die Augen schloß. Als er beim hundertsten Schaf angelangt war, verstummte er plötzlich und drückte mich fest an sich.
»Darf ich dich morgen begleiten?«
»Spinnst du?! Du mußt doch morgen früh zur Arbeit!«
Ama war ganz geknickt über meine Abfuhr.
»Ich will nicht behaupten, daß ich kein Zutrauen zu Shiba-san hätte, aber immerhin ist er mit dir allein. Das macht mir Sorgen.«
»Nun hör aber auf! Shiba-san ist schließlich ein Profi, der würde die Situation doch niemals ausnutzen«, entgegnete ich im Brustton der Überzeugung, worauf Ama zwar klein beigab, aber nach wie vor bedrückt war.
»Sei auf jeden Fall auf der Hut, hörst du? Manchmal weiß ich nämlich
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