Tolle Maenner
hatte etwas an sich, was bei ihm seit jeher ein gewisses Unbehagen erzeugte. In jüngeren Jahren hatte er immer das Gefühl gehabt, dass sie ihn mit sanftem Spott behandelte. Erst in letzter Zeit war ihm klar geworden, dass sie in Wahrheit mit ihm flirtete. »Ich stell die hier nur schnell ins Wasser«, sagte sie. Dann öffnete sie die Tür weiter, um ihn hereinzulassen. Er hatte sich in Janets Gegenwart noch nie wohl gefühlt.
Die Wohnung war ebenso überladen wie Janet selbst. Sie trug viel zu viel Goldschmuck und hatte viel zu viele goldene Knöpfe an der Kleidung, während ihre Wohnung zu viele goldene Bilderrahmen und zu viel geschliffenes Glas aufwies. Als er mit zwölf Jahren seinen Vater hier besuchte, hatte sie die meiste Zeit damit zugebracht, ihn zu ermahnen, bloß nichts anzufassen.
Mit Ausnahme der Blumen hatte sich seit letztem Jahr nichts verändert. Alles wirkte wie in der Zeit eingefroren, genau wie Janets Gesicht oder das Dornröschenschloss. Aber kein Prinz kam, um Janet zum Leben zu erwecken. Jon mochte Barbara wirklich gut leiden, aber für Janet konnte er nichts als Mitleid empfinden. Jetzt hantierte sie im winzigen Spülbecken der winzigen Küche mit den Blumen. »Hast du mal wieder von deinem Vater gehört?«, fragte sie so gleichgültig wie möglich.
»Nein«, antwortete Jon ruhig. Das war genau die Frage, die er am wenigsten ausstehen konnte. Sie ließ die Exfrauen seines
Vaters immer so verletzlich erscheinen. Jetzt tat Janet ihm noch mehr Leid, und er würde noch länger bleiben müssen.
»Nein? Kein Wunder«, sagte sie, und ihre kokette Stimme verhärtete sich. Sie schob die letzte Tulpe zu heftig in die Vase und brach dabei den Stiel ab, ohne es zu merken. »Und wie läuft’s in deinem Privatleben?«, fragte sie, und Jon hatte so das Gefühl, als wüsste sie bereits, dass die Antwort darauf nicht allzu positiv ausfallen würde. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß – seine ausgebeulte Khakihose, seine ausgelatschten Turnschuhe und sein T-Shirt. Dann seufzte sie. »Also, wohin gehen wir zum Brunch?«
Jon sank der Mut. »Ach weißt du«, meinte er verlegen, »ich dachte eigentlich, wir könnten einfach nur hier bei dir einen Schluck Kaffee trinken. Ich meine, ich könnte ein paar Pfund weniger ganz gut vertragen...«
»Du meinst wohl, mir würde das gut tun«, sagte Janet lächelnd und wieder in ihrem flirtenden Tonfall. »Ich bin ständig auf Diät. Aber heute ist Muttertag, und da zählen die Kalorien vom Brunch nicht mit. Nicht einmal für eine Stiefmutter.«
Jon kapitulierte. Auch sein Vater hatte Janet in allem nachgegeben, bis er sie dann verließ.
Keine zehn Minuten später fand sich Jon vor einem schicken Café in Seattle wieder. Gott sei Dank gab es noch keine Warteschlange. Später, als er seiner zweiten Stiefmutter zum Abschied zuwinkte, warteten schon gut zwei Dutzend Leute. Jon zog seine Uhr zu Rate, geriet in Panik und sprang aufs Rad. Wie ein Verrückter trat er in die Pedale, hinaus aus der Innenstadt, vorbei am Park, durch den wohlhabenderen Teil Seattles und in sein altes Viertel.
In der Corcoran Street schob Jon sein Rad in die Einfahrt eines Backsteinbungalows. Das Haus war von Kletterpflanzen überwuchert und von Blumenbeeten umgeben. Er rannte an einem gepflegten Beet vorbei, was ihn daran erinnerte, zum Rad zurückzulaufen und einen weiteren – den größten – Blumenstrauß zu holen.
Er schnappte ihn sich und rannte zur Tür. Auf dem Namensschild
unter der Klingel stand J. DELANO. Noch bevor er klopfen konnte, wurde die Tür von einer attraktiven dunkelhaarigen Frau geöffnet, die eine starke Ähnlichkeit mit Jon aufwies.
»Jonathan!«, rief seine Mutter.
»Alles Gute zum Muttertag, Mom!« Jon umarmte sie herzlich und zerquetschte dabei die Blumen zwischen ihnen.
»Du kommst genau richtig!«, sagte seine Mutter. Sie nahm die Blumen und tätschelte ihm liebevoll die Wange. »Ach, mein Liebling. Pfingstrosen! Mein Gott, so lange vor der Saison; die müssen dich ja ein Vermögen gekostet haben!«
»Das geht schon in Ordnung, Mom. Ich habe heute ja auch mehr Taschengeld als früher.«
Sie lachte. »Und wie geht’s deinem Blinddarm?«, fragte sie.
»Der ist immer noch draußen, aber mir geht’s gut«, antwortete er. Drei Jahre zuvor war ihm bei einer Notoperation der Blinddarm entfernt worden, was ihr einen fürchterlichen Schrecken eingejagt hatte. Sie fragte noch immer danach, auch wenn sie damit längst sein Befinden im Allgemeinen meinte.
»Hast
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