Tolle Maenner
und es deprimierte sie, wenn sie darüber nachdachte, wie sehr sie Jon verletzt hatte und selbst von ihm verletzt worden war und wie sie die wichtigste Freundschaft ihres Lebens ebenso zerstört hatte wie ihre einzige Chance, die wahre Liebe zu finden.
Denn sie liebte Jon wirklich – und das nicht nur, weil er jetzt auch noch gut aussah oder weil sie endlich entdeckt hatte, was für ein begnadeter Liebhaber er war. Sie hatte ihn immer schon geliebt und war lediglich zu dumm gewesen, das zu erkennen. Und dafür musste sie jetzt büßen, und das wahrscheinlich ihr Leben lang. Genau wie Beth hatte sie Jon mehr als ein Dutzend Mal anzurufen versucht. Diese Ironie des Schicksals war ihr nicht entgangen. Jon hatte sie nie zurückgerufen und auch ihre
Anrufe im Büro nicht angenommen. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn dazu bringen konnte, ihr zu verzeihen.
Jetzt aber musste sie erst einmal zu Marcus und sich von ihm wahrscheinlich eine weitere idiotische Arbeit aufhalsen lassen. Marcus saß mit hochgekrempelten Ärmeln am Schreibtisch. Er wirkte, als wäre er mitten im Redigieren eines längeren Artikels. Sein blauer Filzstift hatte bereits sämtliche Lebensadern der Story durchtrennt, an der er gerade arbeitete. Er kritzelte so energisch darin herum, dass er sogar im Mundwinkel einen blauen Strich hatte, als hätte er seine eigene Rede redigiert, obwohl Tracie ihn zu gut kannte, um das zu glauben.
Sie sah ihn an und hatte plötzlich das Gefühl, keine einzige seiner Unverschämtheiten und Beleidigungen mehr ertragen zu können. Mit einem entschlossenen Schritt trat sie in sein Zimmer. »Ja, bitte?«, fragte sie.
»Dieser Vatertagsartikel war ziemlich gut«, gab Marcus zu. »Mit Allisons Hilfe natürlich«, fügte er hinzu, während sie einfach nur dastand und wartete. Schon seltsam, dachte Tracie; wenn erst mal das Schlimmste eingetreten ist, haben plötzlich andere Dinge, die einem vorher Angst gemacht haben, keine Macht mehr über einen. So ähnlich war es ihr bisher erst einmal ergangen – nach dem Tod ihrer Mutter. Die beiden Mädchen, die sie so gnadenlos neckten, ihr Lehrer, der ihr Angst einjagte, und selbst der Rottweiler am Ende ihres Häuserblocks in Encino konnten sie nicht mehr schrecken. Sollten sie doch machen mit ihr, was sie wollten, ihr war es egal. In gewisser Weise hatte ihr Elend auch etwas Friedvolles an sich gehabt, und das galt jetzt genauso. Sie blickte Marcus seelenruhig ins Gesicht und machte sich auf alles gefasst.
»Aber natürlich. Ohne sie hätte ich das nie geschafft. Nur schade, dass er so gekürzt wurde«, erklärte sie ruhig. »Vielleicht könnte mein nächster Artikel wieder länger sein. Und möglichst keinen Feiertag zum Thema haben.«
»Abgemacht«, sagte er verdächtig freundlich. Er nahm die Papiere, an denen er gerade arbeitete, und warf sie auf das Sideboard. »Setzten Sie sich«, sagte er.
»Nein, danke«, antwortete sie und lehnte sich an den Türpfosten. Früher hätte sie das aus reiner Aufsässigkeit getan, aber jetzt war ihr einfach alles egal.
»Folgendes: Ich werde die Verwandlung des Langweilers bringen. Der Artikel ist wirklich witzig«, sagte er. »Ich dachte, wir ergänzen ihn mit ein paar Parallelen zu Prominenten wie Ted Waite, Steve Balmer von Microsoft und vielleicht Marc Grayson, dem Chef von Netscape. Und vielleicht Kevin Mitnick, dem Hacker, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Ich dachte, wir zeigen ihn in seinem orangefarbenen Overall als ›Vorher‹-Beispiel, und dann lasse ich von der Fotoabteilung eine Montage mit allen dreien unter der Rubrik ›Nachher‹ machen. Mitnick muss jetzt ein Mädchen finden, das ihn aushält, weil sie ihm nicht einmal mehr bei McDonalds eine Arbeit geben würden. Armer Teufel. Wer vom Computer lebt, kommt durch den Computer um.«
In diesem Moment wünschte sich Tracie, Marcus käme durch seinen Computer ums Leben. Ihr ganzes inneres Gleichgewicht und ihre Ruhe hatten sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Jon würde ihr nie verzeihen, was sie getan hatte, aber wenn der Artikel auch noch veröffentlicht wurde, brachte er entweder sie oder sich selbst um. »Sie können den Artikel nicht veröffentlichen«, sagte sie.
»Jetzt hören Sie mir mal zu«, sagte er. »Ich weiß von Ihren kleinen Gesprächen mit dem Seattle Magazine . Aber Sie können da nicht veröffentlichen, wenn ich den Artikel für unser Haus reklamiere. Wir haben eine Option darauf, und außerdem haben Sie die Sache mit Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher