Tolle Maenner
Brummen. Jon war erschöpft von den Treffen mit seinen Müttern, von der Arbeit an Parsifal und seiner nächtlichen Einkaufstour mit Tracie. Trotzdem musste er jetzt die Kraft aufbringen, sich zu konzentrieren. Schließlich war das seine Abteilung, sein Königreich. Ein paar Jungs von Micro/Con waren gerade in ein Gespräch über eine technische Neuentwicklung vertieft, während er, der aufgeklärte Despot, zuhörte und dagegen ankämpfte, dass ihm die Augen zufielen.
Als Jon von seiner Gesprächsgruppe aufblickte, sah er Samantha auf sein Büro zukommen. Sein Reich fiel schneller in sich zusammen als das philippinische E-Mail-System unter dem Einfluss des »I-Love-You«-Virus. Er musste wieder daran denken, dass er der weltgrößte Verlierer war. Die Demütigung kam schnurgerade auf ihn zu. Sam hatte etwas an sich, dem Jon nicht widerstehen konnte – genauso wenig übrigens wie jeder andere Mann. Sie war einer dieser sommersprossigen Rotschöpfe, die im Beruf zwar tough waren, darüber hinaus aber etwas so Süßes, fast Unschuldiges an sich hatten, dass jedes männliche Wesen sich geradezu magnetisch von ihnen angezogen fühlte. Er wollte jede einzelne ihrer Sommersprossen katalogisieren wie Sternbilder am Nachthimmel. Von ihren langen, schlanken, perfekt proportionierten Beinen gar nicht erst zu sprechen.
Sam arbeitete bei Micro/Con im Marketing. Während die meisten
Marketingleute ziemliche Hohlköpfe waren, hatte sie sich jedoch als clevere Frau mit Sinn für Humor erwiesen und hatte in dieser Hinsicht viel mit Tracie gemeinsam. Erstmals aufgefallen war sie ihm in der Verkaufskonferenz des Vorjahrs, als Crypton 2 gerade fertig gestellt war und in den Verkauf gehen sollte. Im Auditorium drängten sich dreihundert Leute, und die meisten davon waren mehr oder weniger spießige Verkäufertypen; umso mehr stach Sam heraus, als sie ans Rednerpult trat und ihre Rede mit einem reichlich zweideutigen Witz über einen Zwerg und eine Waschmaschine einleitete. Sie hatte es damit nicht nur geschafft, die Leute zum Brüllen zu bringen, sondern bei all dem auch noch ausgesprochen ladylike gewirkt. Noch immer musste John grinsen, wenn er an diese Situation dachte. Sie hatte Schwung. Sie hatte eine Ausstrahlung, die man nur als magisch bezeichnen konnte. Sie war geradezu unglaublich. Niemand aus Jons Bekanntenkreis – nicht einmal Tracie – wäre in der Lage gewesen, eine solche Show abzuziehen, ohne damit auf die Nase zu fallen. Monatelang hatte er sie auf seinem Radarschirm geortet und immer gewusst, wo sie gerade war. Irgendwann hatte er dann endlich den Mut aufgebracht, sich bei einigen Konferenzen neben sie zu setzen. Er hatte ihr auf Zetteln witzige Bemerkungen zugesteckt, und sie hatte darüber gelacht. Eines Tages saß er dann in der Cafeteria neben ihr und lud sie ein, mit ihm auszugehen. Sie hatte zugesagt und ihn dann versetzt.
Als er sie jetzt im Flur sah, wünschte er, er könnte sie einfach ignorieren. Sie war gerade in ein Gespräch mit einem Marketingtypen verwickelt. Die Kerle waren immer so aalglatt – jede Menge Stil, aber nichts dahinter. Jon erstarrte, und man sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte. Er hoffte, dass die Leute um ihn herum nichts merkten. Sie konnte unmöglich so tun, als sähe sie ihn nicht. Er wünschte, er könnte sich in Luft auflösen oder wenigstens den Kopf durch den Teppichboden – hundert Prozent Naturfaser – stecken und den Vogel Strauß spielen, aber es gab kein Entrinnen.
»Oh. Hallo, Jon«, sagte Samantha gelassen, bevor sie auf
traumhaft langen Beinen unbeeindruckt ihren Weg durch den Flur fortsetzte.
»Hallo, Sam«, antwortete Jon etwa eine Oktave zu hoch. Mein Gott, ihre Lässigkeit war noch schlimmer, als einfach ignoriert zu werden! Jetzt wusste er, dass sie ihn einfach völlig vergessen hatte.
Dann aber blieb Samantha plötzlich stehen. »Ach ja, das mit Samstag tut mir Leid«, sagte sie über die Schulter, als wäre es ihr gerade erst eingefallen. Aber vielleicht war das ja sogar der Fall.
»Samstag?«, fragte Jon, der seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte. Auch er konnte unter Gedächtnisverlust leiden.
»Ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob wir uns verabredet hatten oder nicht, und dann kam auch noch was anderes dazwischen und -«
»Kein Problem«, schnitt Jon ihr das Wort ab. Dann verließ er die Gruppe und ging in sein Büro. Er hörte, wie die Leute vor der Tür murmelten. Dennis sagte: »Mann, was hat die bloß mit Jon angestellt, was ihr Leid tun
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