Tolle Maenner
denkst, Süßer.« Ob nun vor Müdigkeit, Nervosität oder weil er die Bemerkung tatsächlich lustig fand, Jon fiel in Mollys Gelächter ein.
Tracie ignorierte die beiden. »Irgendwas müsste sich doch finden lassen...«
»Tracie, ich ändere meinen Namen nicht«, beteuerte Jon beharrlich.
»Und wie wär’s mit Johnny?«, fragte sie. »Typen, die Johnny heißen, sind immer cool. Johnny Depp, Johnny Dangerously, Johnny Cash. Sie tragen Schwarz und strahlen eine große Intensität aus. Und Herzensbrecher sind sie auch.«
»Ja, wie Johnny Carson«, pflichtete Molly ihr bei. »Oder Johnny Halliday, dieser französische Wichser.«
Er hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. »Also, ich wollte immer gern Bud heißen.«
»Bud?«, fragte Molly. »Wie das Bier? Das ist ja wohl nicht dein Ernst.«
»Nein, wie in dieser Fernsehshow aus den Sechzigern – Vater ist der Allerbeste «, erklärte Tracie. »Ich wollte immer Prinzessin heißen.«
»Passt doch wunderbar zu dir«, kommentierte Molly sarkastisch.
»Spaß beiseite«, erklärte Tracie. »Wir einigen uns auf Johnny. Und jetzt möchte ich, dass du allein in die weite Welt hinausgehst und anfängst, ein paar Frauen aufzureißen.«
13. Kapitel
Seattles größter Markt für frische Lebensmittel bestand aus unzähligen winzigen Läden an einem Hügel und war weit mehr als nur ein Markt. Elegant gekleidete Yuppies wählten hier den Endivien- oder Friséesalat für ihr Abendessen aus, wenn sie nicht gerade caffé latte aus Pappbechern tranken. Es war unglaublich, wie vollständig die Espressokultur in all ihren Varianten Seattle erobert hatte. Espressotrinker hatten eine ganz eigene Sprache entwickelt, um zu beschreiben, wie sie ihren Kaffee wollten. Jon bevorzugte ihn möglichst nahe am Siedepunkt, doch obwohl er in Seattle geboren und aufgewachsen war, kannte er die Namen der meisten Kaffeegetränke noch immer nicht.
Wie die meisten alteingesessenen Bewohner einer jeden größeren Stadt nutzte Jon nicht annähernd aus, was Seattle zu bieten hatte. Er war nie mit der Fähre nach Bremerton gefahren, war immer noch nicht im Experience of Music Project gewesen, trieb sich nie im Gas Works Park herum und hatte bislang auch den Markt weitestgehend gemieden. Zum Teil war das allerdings auch darauf zurückzuführen, dass in seiner Jugend das Viertel überwiegend von Matrosen und Prostituierten bevölkert gewesen war und dort recht raue Sitten geherrscht hatten. Jon war schon seit Jahren nicht mehr am Pike Place gewesen. Wenn er ausnahmsweise einmal nicht arbeitete, hing er wie die meisten Angestellten von Micro/Con im Metropolitan Grill herum. Hier dagegen traf er – abgesehen von den üblichen Touristen – auf Asiatinnen in Kleidern von Gucci, Marineoffiziere, ein paar Hippiemädchen in Klamotten, die aus den Kleiderschränken ihrer Mütter hätten stammen können, und einen Afroamerikaner mit Turban samt Papagei auf der Schulter. Jon schwirrte der Kopf.
Aber er war auf Tracies Anordnung hier, um Frauen aufzureißen. Vor einem Stand mit Backwaren blieb er stehen. Also dann, an die Arbeit. Eine kleine, schlanke, blonde und ganz in Grau gekleidete Frau stand dort. Sie machte einen sympathischen Eindruck auf ihn, daher versuchte er, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Weil sie seinen Blicken auswich, gab er aber schnell wieder auf. Blondinen waren sowieso eiskalt, entschied Jon.
Dann fiel ihm eine große Brünette in Jeans und grünem Sweater auf. Sie sah auch nett aus – bis sie lächelte. Einen Moment lang fragte sich Jon, wie viele Lippenstifte eine Frau im Durchschnitt wohl pro Jahr verzehrte. Einen? Oder zwei? Und was war in dem Zeugs eigentlich drin? Roter Farbstoff E irgendwas? Schluckte er die Inhaltsstoffe, wenn er ein Mädchen küsste? (Wobei die Vergiftungsgefahr in seinem Fall in letzter Zeit gleich Null gewesen war.) Obwohl Lippenstift auf den Zähnen ihn nicht gerade antörnte, lächelte sie ihn immerhin an. Er gab sich einen Ruck und trat auf sie zu. Was nun? Einen Augenblick lang geriet er in Panik. Warum hatte er nicht irgendetwas vorbereitet, um sie anzuquatschen? Wie ein Guppy stand er mit offenem Mund da. Denk nach, Jon, aber schnell. »Können Sie mir vielleicht sagen, wie spät es ist?«, brachte er schließlich heraus.
Das Lächeln verschwand. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Nein«, sagte sie, drehte sich um und stolzierte davon.
Verlegen drückte Jon sich in den Eingang des Kerzengeschäfts hinter ihm. Gott, bin ich ein Versager!
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