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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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der Herr in Wirklichkeit vielleicht gar nicht Olsufjew war, sondern Ariel, der zur Tür hinausgelaufen sein, Maske und Kleidung gewechselt haben und in neuer Gestalt wieder hereingekommen sein könnte.
    T. setzte sich dem Gardisten gegenüber und legte das Gewehr auf die Knie. Einige Augenblicke lang musterten sie einander wortlos. Schließlich brach Olsufjew das Schweigen.
    »Ich wusste, dass Sie früher oder später kommen würden«, sagte er. »Nun, Graf, Sie haben jeden Grund, Genugtuung zu fordern. Ich verspreche, sie in beliebiger Form zu leisten. Ich bitte Sie nur, Axinja nicht in unsere Abrechnung hineinzuziehen. Dieses reine Wesen hat überhaupt nichts damit tun, was zwischen Ihnen und mir vorgeht.«
    »Wunderbar«, erwiderte T. »Vielleicht erklären Sie mir dann, was genau eigentlich zwischen uns vorgeht? Ich verliere mich in Mutmaßungen.«
    Olsufjew warf T. einen misstrauischen Blick zu, wie ein Spieler, der zu erkennen versucht, welche Karten der Gegner in der Hand hat.
    »Was wissen Sie?«
    T. grinste.
    »Ich weiß nicht alles. Aber einiges ist mir bekannt. Und wenn ich auch nur eine Lüge bemerke, blase ich Ihnen den Kopf weg. Also keine Lügen und keine Ausflüchte. Erzählen Sie alles, wie es ist, von Anfang bis Ende.«
    »Fragen Sie«, sagte Olsufjew.
    »Was ist Optina Pustyn?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sie lügen«, sagte T. und hob das Gewehr.
    »Nein, ich lüge nicht. Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Die Geheimpolizei tappt ebenfalls im Dunkeln. Ihre Reise, Graf, ist ja gerade der Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden.«
    »Sprechen Sie nicht in Rätseln«, sagte T. »Ich brauche Lösungen. Ich frage Sie noch einmal, was befindet sich in Optina Pustyn?«
    Olsfujew lächelte.
    »Gott.«
    T. sah ihn erstaunt an.
    »Gott?«
    »Das ist einfach das kürzeste Wort für das, was jenseits aller Worte liegt. Man kann noch viele andere Ausdrücke zu Hilfe nehmen, aber was hat das für einen Sinn? Das ewige Leben, die Macht über die Welt, der Stein der Weisen – all das verblasst im Vergleich zu dem, was derjenige vorfindet, der nach Optina Pustyn gelangt.«
    »Warten Sie«, sagte T. »Keine poetischen Beispiele bitte. Nur Fakten. Sie wollen sagen, dass derjenige, der nach Optina Pustyn gelangt, Gott begegnet?«
    »Oder selbst Gott wird. Das weiß nur, wer dort war. Solowjow zum Beispiel. Aber es gibt keine Möglichkeit, mit ihm zu sprechen, weil er unter strengstem Arrest steht und ihm auf allerhöchsten Befehl keinerlei Kontakt, nicht einmal mit mir, gestattet ist. Er ist in der Lage des Mannes mit der Eisenmaske 74 – verhören darf ihn nur der Imperator selbst. Wie Sie verstehen, ist die Frage von außerordentlichem Interesse und äußerster Wichtigkeit. Eben deshalb habe ich beschlossen … ehem … Sie beizuziehen, um uns zu helfen.«
    »Wieso mich?«
    »Solowjow sagte, nur Sie könnten nach Optina Pustyn gelangen.«
    »Wann hat er das gesagt, und wem?«
    »Uns beiden, Ihnen und mir«, erwiderte Olsufjew. »Hier in diesem Raum, vor ungefähr einem Jahr. Er sagte, mir würde das ohnehin nicht gelingen, da könnte ich mich anstrengen, wie ich wollte. Aber Sie könnten es – wenn Sie alles stehen und liegen ließen, alle Arbeiten, alle Sorgen und Pläne.«
    »Inwiefern haben die Mönche aus Pobedonoszews Bande damit zu tun?«
    Olsufjew wurde ernst.
    »Ganz direkt und unmittelbar. Für die Mönche, ebenso wie für mich, sind Sie so etwas wie der Schlüssel zu einer Geheimtür, hinter der sich ein Wunder verbirgt – nur arbeiten sie sich auf einer anderen Route dahin vor.«
    »Warum wollen sie mich ihrem Hermaphroditen zum Opfer bringen?«
    »Wenn ich es richtig verstehe, hoffen sie, dadurch die Tür nach Optina Pustyn zu öffnen. Sie lockt das uralte und unglaublich verzerrte Echo desselben Wissens. Die Sektierer verstehen natürlich den Sinn ihres Glaubens schon längst nicht mehr. Sie sind einfach gefährliche Psychopathen. Solowjow hat uns gewarnt, dass die versuchen würden, Sie aufzuhalten. Mehr noch, er hat erwähnt, nicht nur Menschen könnten Sie verfolgen, sondern auch Wesen der unsichtbaren Welt, eine Art Wächter, die jeden vom Weg abzubringen versuchen, der die Reise nach Optina Pustyn antritt.«
    T. runzelte die Stirn.
    »Solowjow hat von Geistern gesprochen?«
    »Ja.«
    »Sind es viele?«
    »Er sprach von einem, der sich als Schöpfer der Welt ausgibt und verlangt, dass Sie sich ihm unterwerfen. Er ist der Wächter des Durchgangs, ein Dämon, der über eine

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