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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Gericht, danach fahre ich für zwei Wochen nach Hurghada. Es wird eine Weile dauern, bis wir uns auf einen Kognak treffen können. Nicht, dass Ihnen langweilig wird!«
    »Wie geht es jetzt weiter?«, fragte T.
    »Zuerst wird Grischa die Handlung straffen, damit es keine sinnentstellenden Lücken gibt. Wenn ich wieder da bin, sehen wir weiter. Ich bemühe mich, dass es schmerzlos abgeht.«
    »Moment«, sagte T., »das meine ich nicht. Wie geht es weiter? Haben Sie dieses leere Haus nur erschaffen, um mit mir zu reden?«
    »Nein«, erwiderte Ariel. »Das wäre doch ein allzu großer Aufwand. Das Haus ist leer, weil der Besitzer, Herr Olsufjew, heute Besuch von Ihrer Bekannten Axinja erwartet. An den Tagen gibt er der ganzen Dienerschaft abends frei.«
    »Und wo ist Olsufjew selbst?«
    »Gestern wurde er anlässlich des Zarengeburtstags im Dienst aufgehalten«, sagte Ariel. »Aber in diesem Moment ist er gerade aus der Kutsche gestiegen und nähert sich dem Eingang.«
    Der Demiurg war nur noch eine durchsichtige Kontur – als wäre er aus Kristall. T. ahnte mehr, als dass er sah, wie Ariel lächelte, und dann verschwand auch die Kontur.
    Von weither drang ein leises Lachen und T. kam der unangenehme Gedanke, dass Ariel die ganze Zeit über nicht dort gewesen war, wo er ihn gesehen hatte. Doch darüber konnte er jetzt nicht weiter nachdenken – unten schlug die Eingangstür.

XXI
    T. ging zu der Waffenkollektion an der Wand, nahm das doppelläufige Gewehr von den Haken und öffnete es. Die Hülsen blickten ihn mit kalten Messingaugen gleichgültig an. T. schloss das Gewehr wieder, ging zur Eingangstür und stellte sich seitlich daneben so hin, dass ihn eine durch die Türfüllung geschossene Kugel nicht treffen könnte.
    »Ich würde gern wissen«, überlegte er abwesend, »ob ich wohl auf eigenen Wunsch sterben kann. Ob ich mich einer Kugel in den Weg stellen und Ariels Pläne durchkreuzen kann. Und warum ich das bisher nicht getan habe. Vermutlich deshalb, weil ein Teil von mir glaubt, Ariel sei ein Hirngespinst, ein Albtraum im Wachzustand, hervorgerufen durch eine Geisteskrankheit. Vermutlich ist das der gesunde Teil von mir, der, dem ich es verdanke, dass ich noch lebe …«
    Auf dem Flur waren Schritte zu hören.
    »Außerdem«, dachte T., »wenn ich mich jetzt einer Kugel in den Weg stelle, durchkreuze ich Ariels Plan gar nicht, im Gegenteil, das würde mit seinem Plan übereinstimmen. Vielleicht kommen mir auch deshalb solche Gedanken. Zum Teufel, ich bin schon wieder völlig durcheinander! Aber dazu ist jetzt keine Zeit …«
    Die Schritte auf dem Flur verstummten direkt vor der Tür.
    Ein paar Minuten vergingen. Schließlich hatte T. genug von dieser stummen Konfrontation und er spannte beide Hähne. Das Knacken klang für ein aufmerksames Gehör laut wie ein Peitschenschlag.
    »Graf«, sagte eine männliche Stimme auf der anderen Seite der Tür, »ich weiß, dass Sie hier sind. Ich habe die eingeschlagene Scheibe und das Seil auf dem Dach gesehen. Bitte schießen Sie nicht.«
    »Ich bitte Sie, mein Herr«, sagte T., »das hatte ich gar nicht vor. Auf was für Ideen kommen Sie denn …«
    Die Tür ging auf und ein hochgewachsener Mann in weißer Gardistenuniform trat ein, in der Hand einen goldenen Helm. Ein blonder Mann Anfang dreißig – vielmehr, dachte T., ein halbblonder: Haare hatte er nur noch an den Schläfen und am Hinterkopf, der Rest war kahl, wobei die Glatze unwahrscheinlich gerade und scharfe Ränder hatte, als wäre von der Stirn bis zum Haaransatz eine Liliputaner-Kompanie mit der Sense durchmarschiert.
    T. fiel auf, dass der Gardist den Helm über die Faust gestülpt hatte und wie einen goldenen Rammsporn mit einem stählernen Vogel und einem weißen, achteckigen Stern vor sich hertrug. T. grinste und hielt ihm den Gewehrlauf ins Gesicht.
    »Sie haben versprochen, nicht zu schießen«, erinnerte ihn der Gardist.
    »Ich schieße nicht«, sagte T., »wenn Sie mir Ihre Pistole geben.«
    »Meine Pistole?«
    »Ja«, erwiderte T. »Die Pistole, die Sie da unter dem Helm verstecken. Die ist ja nicht zu übersehen.«
    Der Gardist lächelte verlegen, zog den Helm von der Hand und reichte T. eine kleine Browning. T. nahm die Waffe und nickte in Richtung des Tischs.
    »Setzen Sie sich. Aber keine Dummheiten, ich warne Sie eindringlich.«
    Der Herr setzte sich dahin, wo kurz zuvor der Demiurg gesessen hatte.
    T. runzelte die Stirn – ihm war plötzlich der äußerst unbehagliche Gedanke gekommen, dass

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