Tolstois Albtraum - Roman
den Leser in der Weltliteratur schon oft zum Helden des Textes gemacht, und das hätte sich immer negativ auf den Verkauf ausgewirkt …«
»Sie lenken immer ab«, sagte T. »Ich habe nach Solowjow gefragt und Sie erzählen mir von Ihren Marketendern. Sie reden um den heißen Brei herum.«
Ariel stülpte arrogant die Lippen vor.
»Sie wollen mir dauernd etwas anhängen. Soll ich diesen Solowjow wieder zurückholen?«
»Aber sicher«, sagte T. »Ist das Ihr Ernst?«
»Ja«, erwiderte Ariel. »Ich habe nichts dagegen. Wir haben demnächst eine Wende im Handlungsverlauf, da kommt er vielleicht sogar ganz gelegen.«
»Was für eine Wende?«
»Armen Wagitowitsch hat sich was überlegt, um Knete rauszuschlagen. Ein kluger Kopf, das muss man sagen. Ein Genie, finde ich. Aber die Methode wird Ihnen wohl kaum gefallen, Graf …«
Ariel brach wieder in sein betrunkenes Kichern aus.
»Was ist denn das für eine Methode?«, fragte T. beunruhigt.
»Wir verlegen uns auf Archimandrit Pantelejmon. Das ist der, der bei denen«, Ariel machte ein Kreuzzeichen in der Luft, »für die PR zuständig ist. Erinnern Sie sich?«
»Ja. Aber warum?«
»Hören Sie zu. Als wir damals die Geschichte mit Ihrer reuigen Umkehr anfingen, haben wir das mit den Kirchenoberen nicht abgesprochen, weil von ihnen keine Knete kam. Und jetzt ist das Geld überall knapp, nur bei denen ist es genau umgekehrt, die haben mehr denn je.«
»Warum das denn?«
»In Krisenzeiten sterben eben mehr Leute – Herzinfarkt und solche Sachen. Und die sanieren sich im Großen und Ganzen an den Toten. Armen Wagitowitsch hat das durchgerechnet und über seine Kanäle sofort Archimandrit Pantelejmon kontaktiert, um sich zu erkundigen, ob der sich nicht vielleicht für das Projekt interessiert. Und da kam etwas ganz Aufschlussreiches heraus: Die interessieren sich überhaupt nicht für Tolstois reuige Umkehr, weil das reine Fiktion ist, und die Leute dort sind sehr konkret drauf. Hingegen sind sie interessiert daran, die Seelenqualen des Grafen darzustellen. Den ganzen Schrecken des Kirchenfluchs zu vermitteln. Zu zeigen, was mit einer abtrünnigen Seele passiert, wenn sie aus der Kirche ausgeschlossen wird.«
»Oje«, seufzte T. leise.
»Na? Das ist doch was! Sich sozusagen auf der Welle des Hochmuts zu weißen Handschuhen und sonstiger Theurgie aufschwingen, Gott am Bart fassen und dann ordentlich abstürzen. In die totale finstere Hoffnungslosigkeit der außerkirchlichen Gottverlassenheit.«
T. überlief eine kalte Welle der Angst – als würde neben ihm wieder der Zerberus bellen.
»Und dann«, fuhr Ariel erbarmungslos fort, »die Qualen des Grafen im Jenseits darstellen. Zeigen, was mit einer abtrünnigen Seele passiert, wenn sie ein Begräbnis ohne Popen bekommt.«
»Warten Sie«, rief T. »Ich bin doch nicht Tolstoi! Ich bin Graf T.! Ich habe mit diesem Grafen überhaupt nichts zu tun, das haben Sie selbst gesagt!«
»Was glauben Sie denn, wofür wir den Realisten eingestellt haben? Das regeln wir schon, keine Sorge. Wir polieren das Ganze auf. Das Programm sieht jetzt so aus: Zuerst nutzlose Seelenqualen, dann der Tod, ohne bereut zu haben, und der Leidensweg einer konfessionslosen Seele. Sie haben uns sogar den Scan einer Ikone geschickt, sie heißt ›Lew Tolstoi in der Hölle‹. Man braucht eine literarische Entsprechung, sagen sie.«
»Und jetzt«, flüsterte T., »werden Sie alles umarbeiten …«
»Das ist gar nicht nötig. Es ist alles bereit, wir müssen nur den Rückblick etwas korrigieren. Pantelejmon hat das Material gutgeheißen. Besonders lustig fand er den Kater, zu dem man betet. Dostojewskis Petersburg und das Aussaugen der Seelen hat ihm auch gefallen. Dieser ganze Block bleibt also.«
»Machen Sie Witze?«
»Keineswegs, mein Bester. Sie haben selbst gesagt, es ist wie in der Hölle. Und denen hat es gefallen. Aber sie wollten, dass dieses heterogene Material zu einer normalen, klaren Handlung zusammengeführt wird, damit das alles Hand und Fuß hat. Das haben wir ihnen versprochen – wir setzen Owjnuk gleich heute daran, er wird das schon schaffen … Warum verziehen Sie das Gesicht, finden Sie es langweilig?«
»Nein, wieso – überhaupt nicht«, sagte T.
»Sie wollten noch zwei weitere Positionen überarbeitet haben. Erstens sollen wir Dostojewski in den Himmel aufsteigen lassen – er hat es verdient, sagen sie. Wir haben mehr Geld dafür verlangt, aber davon wollten sie nichts wissen. Wir sind dann übereingekommen,
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