Tolstois Albtraum - Roman
dachte, das sei das Öl in den Öllämpchen. Aber plötzlich regte sich der Sack auf dem Stuhl und streckte Beine zum Boden aus, und T. erkannte, dass es ein Mann war, der zuvor reglos in Embryohaltung auf dem Stuhl gekauert hatte – die Beine an die Brust hochgezogen und das Gesicht auf die Knie gepresst.
Es war ein kleiner graubärtiger Greis, angetan mit einem Pelzmantel aus etwas Ähnlichem wie abgeschabtem Katzenfell. Ein schmutziger Seidenschal war stramm wie ein Verband um seinen Hals gewickelt. Der Alte blickte T. misstrauisch an und bewegte schwach die Lippen.
»T.«, sagte T. verblüfft. »Graf T.«
»Und ich bin Fjodor Kusmitsch«, sagte der Alte. »Einen Familiennamen hatte ich auch mal, aber den habe ich vergessen … Was suchst du, guter Mann?«
»Eine Kutsche suche ich, Fjodor Kusmitsch«, antwortete T. ernsthaft.
»Was für eine Kutsche?«
»In der Kutsche wird ein Mann gebracht. Und den brauche ich sehr dringend.«
»Und warum suchst du unter der Erde?«, wunderte sich Fjodor Kusmitsch. »Ich hätte noch verstanden, wenn du zum Beispiel da suchen würdest, wo es etwas heller ist. Aber hier ist es doch dunkel und feucht.«
»Ganz recht gesprochen«, stimmte T. zu und verspürte wie immer Ehrfurcht vor der einfachen bäuerlichen Weisheit (die ihn gewöhnlich in eine etwas bemüht volkstümliche Sprechweise verfallen ließ), »doch habe ich erkannt, Fjodor Kusmitsch, dass ich diese Kutsche auf Erden nicht einholen kann. So habe ich beschlossen, wenn es dem Herrn gefällt, dass ich sie finde, dann finde ich sie auch unter der Erde. Und wenn es ihm nicht gefällt, dann finde ich sie auch oben nicht.«
»Ganz recht gedacht«, stimmte der Alte zu. »Was ist denn das für ein wichtiger Mann in der Kutsche?«
»Der Mann«, erwiderte T., »hat eine Weisheit gelehrt.«
»So, so«, versetzte der Alte rasch. »Und worin besteht diese Weisheit?«
»Sie lautet, mein Bester«, sagte T., »dass man lernen muss, alle Teufel, die sich in der Seele erheben, zu unterscheiden und sie von Angesicht und mit Namen zu kennen. Noch bevor sie Macht bekommen. Damit sich kein einziger deiner Seele bemächtigen kann. So wird man mit der Zeit vom geistigen Fehlgehen geheilt.«
Der Alte nickte.
»Ganz recht hat dieser Mann gesprochen«, sagte er. »Das ist ganz recht. Dann halte dich daran. Warum suchst du ihn denn noch, wenn du schon alles weißt?«
»Ich will ihn fragen«, sagte T., »was man tun soll, wenn man diese Höhe erklommen hat.«
»Hast du sie etwa schon erklommen?«, fragte der Alte mit einem strengen Blick auf T.
T. überwand seine Scheu und nickte.
»Ich glaube dir«, sagte der Alte nach einem scharfen, prüfenden Blick auf T. »Ich glaube dir. Du musst dich mit diesem Menschen noch einmal treffen. Also geh zu ihm. Ich segne dich.«
»Aber wohin soll ich gehen?«, fragte T.
»Wenn du es nicht weißt«, sagte der Alte, »musst du den Herrn im Gebet danach fragen.«
T. bemerkte plötzlich die Hände des Alten. Seine Finger, die aus den schmutzigen, abgewetzten Ärmeln hervorlugten, waren gepflegt, mit langen, sauberen und sorgfältig gefeilten Nägeln. Außerdem schienen die Nägel lackiert zu sein – im flackernden Licht der Öllämpchen hatten sie einen schimmernden Glanz.
»Einer, der sich dem einfachen Leben zugewandt hat«, dachte T., »aber nicht gänzlich …«
Er ärgerte sich, dass er sich solche Mühe gegeben hatte, die volkstümliche Sprechweise nachzuahmen. Im Gespräch mit einem Mann aus dem Volk mochte das noch als Zeichen des Respekts durchgehen, aber so war es die reinste Farce.
Der Alte bemerkte, dass T. auf seine Hände schaute, schob sie unter den Pelz und sagte verlegen:
»Verurteilen Sie mich nicht, Graf. Das ist noch ein Überbleibsel aus der Kindheit. Man kann sehr wohl die Nägel pflegen und dennoch stehen seinen Mann 81 …«
»Schon gut.« T. winkte ab. »Das geht mich nichts an. Sagen Sie besser, mein Herr, zu wem soll ich beten, was schlagen Sie vor? Zu Ariel Edmundowitsch Brahman? Oder vielleicht zu seiner Mama?«
Als der Alte »mein Herr« hörte, ging er vollends zum »Sie« über.
»Darum machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er freundlich. »Das Gebet findet seinen Weg von selbst. Und seien Sie nicht so stolz. Sie sind allzu stolz, das ist es. Ich war genauso, ja wohl noch schlimmer. Sie sind ein Graf, aber ich war sogar ein Imperator.«
T. starrte den Alten misstrauisch an.
»Imperator?«, fragte er nach. »Was für ein Imperator?«
»Peterpaul«,
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