Tolstois Albtraum - Roman
Kampfkleidung mutete dieses Mal eigenartig an, war allerdings für die Stadt ganz gut geeignet – man hatte ihm einen alten, abgetragenen, gestopften Beamtenmantel mit abgeschabtem Marderkragen geschickt. Daneben lag eine Beamtenmütze.
Unter dem Mantel, am Boden der Reisetruhe, fand sich eine Notiz:
Euer Erlaucht Graf Lew Nikolajewitsch!
Mit Bitterkeit berichte ich von einem Unglück, das Ihr Gut Jasnaja Poljana heimgesucht hat. Am siebten August bat ein umherziehender blinder Zigeuner mit Namen Lojko um ein Nachtquartier. Da wir um Euer Erlaucht Güte gegenüber Krüppeln und Umherziehenden wissen, wagten wir nicht, ihn abzuweisen, und ließen ihn in den Pferdestall.
In der Nacht fiel der blinde Lojko zuerst über die Milchmagd Gruscha her und dann steckte er den Pferdestall und das Haus in Brand und jubelte über das Feuer, bis wir ihn fesselten. Er schrie: »Ha, du wolltest mich besiegen – jetzt kannst du mit dem roten Hahn zu Abend essen, Eisenbart!«
Der blinde Zigeuner wurde zum Polizeivorsteher gebracht, aber damit ist der Kummer nicht wiedergutzumachen. Vorher war es zwei Wochen lang trocken und in der Nacht wehte ein Wind, und so ist alles verbrannt, Euer Erlaucht – das Haus, der Seitentrakt, die Schmiede und die Anbauten. Auch der Fechtsaal ist verbrannt mit Ihren ganzen Strohpuppen, obwohl der doch so weit abseits stand. Und auch Leute sind nicht wenige verbrannt, alle hat man noch gar nicht gezählt.
Und als der Zigeuner gefesselt wurde, da hat er, obwohl er doch blind ist, Ljocha Samochwalow, der Euer Erlaucht darstellt, wenn die Züge kommen, ein Eisengewicht an einem Lederriemen gegen die Schläfe geschlagen. Ljocha ist am nächsten Tag gestorben, und jetzt geht keiner mehr ackern, wenn der Expresszug und der Sieben-Uhr-Zug vorbeifahren.
Deshalb ist das Paket auch nur so spärlich, Euer Erlaucht – wir haben zusammengetragen, was wir an der Brandstätte finden konnten, und den Mantel hat Ihr Nachbar gegeben, der Hofrat im Ruhestand Wassiljew, ein alter Verehrer von Ihnen. Einen Revolver werden Sie selbst auftreiben, da mache ich mir keine Sorgen. Die Sense ist für alle Fälle, wenn Sie sie nicht gebrauchen können, werfen Sie sie weg. Wir wollten noch ein Fischernetz schicken, das man den Feinden überwerfen kann, so wie auf den Bildern mit dem Kolosseum in Rom, aber Wassiljew hat gesagt, da würden Sie zornig werden.
Verzeihen Sie mir armem Sünder, dass ich nicht genug aufgepasst habe. Aber wie soll man aufpassen, wenn Gott zu strafen beschließt.
Der Gutsverwalter
Semjon Golubnitschi
Als T. den Brief zu Ende gelesen hatte, warf er ihn auf den Tisch.
»Kein Zuhause mehr … Gott hat gestraft, ja. Aber welcher genau? Ariel? Hat er sich vor der Abreise nach Hurghada ordentlich betrunken und mir einen Streich gespielt? Nein, wohl kaum. Das Feuer, das Gewicht am Lederriemen – das sieht eher nach Ownjuk aus … Bestimmt, der watet doch immer knietief im Blut. Wahrscheinlich hatte er wieder eine Eingebung. Wenn der sich doch endlich am Blut verschlucken würde, dieser verdammte Vampir – so viele Leute hat er schon umgebracht … Aber was soll ich mich nutzlos grämen. Ich kann mich ohnehin an keinen erinnern. Nur Ljocha habe ich aus dem Zug gesehen – wenn er das war. Den Fechtsaal habe ich auch vergessen … Obwohl …«
T. kniff die Augen zu und einen Moment schien ihm, er sehe seltsame Strohpuppen mit spitz zulaufenden Hüten, Brustpanzern aus Papiermaché und roten Umhängen – sie sahen aus wie die Gemüsearmee des bösen Zitronenprinzen aus dem italienischen Märchen. Dann sah er eine Ritterrüstung mit einer Zielscheibe anstatt eines Kopfes. Doch das war wohl weniger eine Erinnerung als eine Täuschung, ein Spiel des Geistes, der sich einen »Fechtsaal« vorzustellen versuchte. Das Gedächtnis aber war wüst und leer wie die herbstliche Petersburger Nacht.
»Andererseits«, überlegte T., während er sich den Stahldraht in den Bart flocht, »wenn man es nüchtern betrachtet, könnte die Wahrheit darin bestehen, dass ich gar nichts habe, woran ich mich erinnern könnte. Warum bin ich so leichtgläubig? Vermutlich existiert Semjon Golubnitschi nur als Unterschrift auf diesem Brief … Stopp, stopp. Den Zigeuner Lojko gibt es wirklich, an den kann ich mich gut erinnern. Aber wie der sich plötzlich ausdrücken kann – Eiserner Bart, roter Hahn. Sie entwickeln wohl wieder einen Charakter …«
Als er mit dem Bart fertig war, zog er die Beamtentracht an.
»Es gibt doch
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