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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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schlug im spitzen Winkel auf den Schild, prallte ab und in die Decke.
    Knopf hob wieder den Revolver, zielte sorgfältig und schoss. Die Petroleumlampe, die auf der Bank stand, sprang hoch, zerbarst und fiel zu Boden. Blaugelbe Feuerschlangen krochen über die Planken. Auf Knopfs Gesicht zeigte sich ein Grinsen.
    »Tja«, sagte er. »Wem es bestimmt ist zu verbrennen, der stirbt nicht an Gift …«
    Er richtete den Revolver auf T., und der hielt wieder den Schild schützend vor sich. Aber Knopf schoss nicht, er nahm T. nur aufs Korn und wartete darauf, dass die Flammen sich im Schiffsraum ausbreiten.
    Es roch schon nach verkohltem Fleisch. T. spürte die Hitze von allen Seiten herankriechen, der Schild in seiner Hand wurde allmählich warm.
    »Leben Sie wohl, Graf«, sagte Knopf. »Gute Reise ins Totenreich.«
    Bei diesen Worten schlug er die Tür mit dem Apoll-Bild hinter sich zu.
    T. sah sich um. Vor der leeren Ruderluke, durch die er ins Schiff gelangt war, stand eine undurchdringliche Feuerwand. Er ließ den Schild fallen, sprang zum nächstgelegenen Ruder, riss es mit rasender Anstrengung aus der Dolle und stieß es hinaus ins Wasser. Dann zerrte er sich den bereits schwelenden Mantel vom Leib, zwängte sich durch die enge Luke, fiel ins kalte Wasser, tauchte unter und schwamm davon, weg von dem verdammten Schiff.
    Er schwamm, so weit sein Atem reichte, tauchte dann auf und blickte sich um. Der Kahn brannte; T. sah das am Heck festgezurrte Boot, in das sich Knopfs Gehilfen flüchteten. Knopf selbst war bereits im Boot.
    »Da ist er!«, schrie einer der Verfolger. »Seht doch, da hinten schwimmt er!«
    T. holte tief Luft und tauchte unter, gerade noch rechtzeitig, bevor die Kugeln über das Wasser peitschten.

V
    Wieder an Land, lief T. im Schutz des Uferdickichts flussabwärts. Der Feuerschein blieb zurück, von allen Seiten umgab ihn kalte Finsternis und bald kam er sich vor, als wäre er kein Mensch, sondern ein verirrtes Tier, das durch die Nacht schleicht – so nackt und einsam, wie er war.
    »Dabei«, überlegte er, »stimmt das gar nicht. Ein schleichendes Tier fühlt sich nicht als solches. Ein Raubtier braucht keine Metaphern, so etwas kennen nur die Menschen …«
    Nach etwa einer Stunde sah er in der Ferne flackernde Lagerfeuer, dann vernahm er Gitarrenklänge und das betörende Aroma gebratener Äpfel wehte ihm entgegen. Das musste das Zigeunerlager sein, von dem die verstorbene Fürstin erzählt hatte.
    Eine äußerst vergnügte Gesellschaft hatte sich an einem großen Feuer am Ufer niedergelassen. Sie sangen Hundert Werst bin ich gegangen. 7 T. liebte dieses Lied.
    Um die Zigeuner durch sein plötzliches Auftauchen nicht zu erschrecken, stimmte er aus einiger Entfernung in ihr Lied ein. Als sie seine Stimme vernahmen, drehten sich einige von ihnen um, aber niemand zeigte sich besorgt darüber, dass ein nackter, muskulöser Bartträger auf dem erleuchteten Platz vor dem Feuer erschien.
    T. hockte sich in einigem Abstand ans Feuer und nahm genüsslich die Wärme in sich auf – von seinem Spaziergang am Ufer entlang war er ordentlich durchgefroren. Bald kam ein Zigeunermädchen, angetan mit einer Menge bunter Tücher und Kleider, und hielt ihm einen Tonteller mit zwei Bratäpfeln hin. T. nahm das Angebot dankbar an, und das Mädchen kauerte sich mit einem Blick auf seinen goldenen Talisman neben ihn.
    »Wohin des Wegs, Offizier?«, fragte sie mit heiserer Räuberstimme.
    »Offenbar«, überlegte T., »ist jeder Mann, der kein Zigeuner ist, für sie ein Offizier. Was für ein schlichtes Universum, direkt beneidenswert …«
    »Nach Optina Pustyn«, gab er zur Antwort.
    »Und was ist das?«
    »Das wollte ich gerade von Euch erfahren, liebes Kind.«
    Die Zigeunerin musterte ihn.
    »Warte ein wenig, du erfährst es gleich.«
    Sie stand auf und verschwand in der Dunkelheit.
    Als T. den zweiten Apfel verzehrt hatte, kamen zwei Männer auf ihn zu, ein grauhaariger Alter, der aussah wie ein wohlhabender Bauer (nur ein Ohrring verriet seine Zugehörigkeit zum Zigeunerstand), und ein kahlgeschorener Riese in einer grünen Pluderhose. Der Leib des Riesen war mit stümperhaft ausgeführten, primitiven Tattoos bedeckt und die Nase war hässlich plattgedrückt.
    »Das macht Eindruck«, dachte T. »Psychologisch leicht zu durchschauen: Man begreift sofort, dass es einen wie den nichts kostet, einen Menschen umzubringen. Allein schon, wie er sich selbst verunstaltet hat. Aus Verachtung gegenüber dem eigenen Leben

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