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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einziges Mal mit dem Rücken den Boden berührt. Das sind meine Methoden, meine Herren.«
    Am Lagerfeuer erhob sich Lärm – die Zigeuner fingen an zu streiten. Jemand lachte, jemand spuckte enttäuscht ins Feuer. Aber offenbar erhob niemand ernsthafte Einwände.
    »Was für eine merkwürdige Methode«, sagte der Alte. »Und wie nennt sich dieser Kampf?«
    »Das ist GEWI oder ›Gewaltloser Widerstand gegen das Böse‹«, antwortete T.
    »Das hast du dir ja fein ausgedacht, wie ein Weib«, bemerkte Lojko abfällig.
    »Jetzt müssen Sie nur noch sagen, dass ich mich wie ein Zigeuner benehme, mein Herr«, schmunzelte T.
    »Wir beide sehen uns wieder, Bart, merk dir das!«
    T. blickte dem Riesen fest in die Augen.
    »Das sollten Sie sich lieber nicht wünschen.«
    »Warum?«
    »Weil die Begegnung nicht so ausgehen würde, wie Sie annehmen.«
    Der Zigeuner Lojko gab keine Antwort, sondern grinste nur böse. T. wandte sich an den Alten.
    »Sie haben versprochen, mich zum Baron zu bringen, wenn ich den Test bestehe. Also bitte …«
    Der Zigeunerbaron war ein untersetzter, fülliger Mann, der aussah wie ein Husar im Ruhestand – er trug einen himbeerfarbenen Dolman mit losen Schnüren. In seinem faltigen Gesicht wucherte ein buschiger langer Schnurrbart, der einem Polizeimeister oder einem Eisenbahnbeamten gut angestanden hätte.
    Er saß ganz allein auf einem Klappstuhl an dem am weitesten entfernten Feuer; neben ihm stand ein zweiter Klappstuhl. Hin und wieder kam eine schmächtige kleine Frau, die einen Zweig ins Feuer warf und dann sofort wieder verschwand.
    Der Zigeuner, der T. begleitet hatte, trat zum Baron, neigte sich zu seinem Ohr hinunter und sprach lange auf ihn ein. Der Baron grinste ein paar Mal mit einem Blick auf T. und lud ihn dann mit einer Geste ein, neben ihm Platz zu nehmen.
    »Nun«, begann er, als der Begleiter sich zurückgezogen hatte, »Sie haben Lojko besiegt. Wer sind Sie?«
    »Man nennt mich Graf T.«
    »Guten Tag, Graf.«
    »Guten Tag, Baron«, sagte T. mit kaum merklicher Ironie. »Was sollte dieser idiotische Test?«
    »Wir sind bemüht, der Welt den Geist des edlen Wettstreits zu erhalten«, erwiderte der Baron entschuldigend. »Sonst degenerieren wir zu einer Bande von Dieben.«
    »Sie wissen, wer ich bin«, sagte T. »Und wie ist Ihr werter Name?«
    »Damit will ich Ihr Gedächtnis nicht belasten«, sagte der Baron. »Mein Name nutzt Ihnen gewiss nichts. Für Sie bin ich einfach der Zigeunerbaron. Also, Sie wollten mich etwas fragen?«
    »Stimmt«, sagte T. »Was ist Optina Pustyn und wo befindet es sich?«
    Der Baron riss erstaunt die Augen auf.
    »Was?«, fragte er nach.
    »Optina Pustyn«, sagte T. noch einmal deutlich. »Man hat mir gesagt, das habe irgendetwas mit Zigeunern zu tun.«
    Der Baron versank in Gedanken.
    »Ich weiß nicht«, sagte er dann, »mir ist so, als hätte ich das ein- oder zweimal gehört, als ich in Petersburg an der Universität studierte, vielleicht im Zusammenhang mit Literatur oder Mystik. Aber ich kann mich täuschen. Mit dem Leben und dem Brauchtum der Zigeuner hat es jedenfalls ganz sicher nichts zu tun.«
    »Gestatten Sie«, sagte T., »aber Ihre Leute haben doch vorhin gesagt: Jeder, der danach fragt, muss mit Lojko kämpfen.«
    »Das sagen sie immer.« Der Baron winkte ab. »Sie langweilen sich, da schlagen sie eben über die Stränge. Gestern kam ein Oberst der Gendarmerie vorbei, allein, zu Pferd. Er war unterwegs vom Gut seiner Schwester in die Stadt Kowrow, nicht weit von hier. Und ob Sie es glauben oder nicht, er hat diese Nichtsnutze nur nach dem Weg gefragt, und sie haben ihn zum Kampf gezwungen … Er hat übrigens erzählt, dass im Kreis ein Mann gesucht wird, der so ähnlich aussieht wie Sie.«
    »Das hat man mir schon gesagt«, erwiderte T. »Also Sie können mir nicht helfen, heißt das?«
    »Wieso nicht?«, fragte der Baron. »Sicher kann ich das. Ihr Sieg im Zweikampf trägt mir bestimmte Verpflichtungen auf, deshalb befragen wir jetzt das Orakel hier im Zigeunerlager. Das ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, aber heute habe ich auch eine Frage.«
    »Meinen Sie, das Orakel weiß etwas, was Sie nicht wissen?«
    Der Baron fing an zu lachen.
    »Ich verstehe Ihre Skepsis, Graf. Aber es ist einen Versuch wert. Schließlich haben Sie Ihr Leben dafür riskiert.«
    Er klatschte in die Hände, und die Frau, die sich um das Feuer kümmerte, kam heran. Der Baron gab ihr einen leisen Befehl, und sie verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf kam sie

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