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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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zurück, legte dem Baron einen geräumigen, in dunklen Stoff gehüllten Koffer zu Füßen, verbeugte sich und verschwand wieder im Finstern.
    Der Baron zog ein kleines Messer aus dem Stiefel. Er rückte den Koffer näher heran, zerschnitt die staubige Hülle und öffnete ihn. Darin lag eine Holzpuppe. Anstelle der Beine hatte sie einen spitz zulaufenden und von Erdreich schwarz gefärbten Stiel. Der Zigeuner rammte die Puppe in den Boden (wobei sie in ohnmächtiger Empörung mit den Armen schlenkerte) und nahm eine Tabakspfeife mit einem kleinen metallenen Pfeifenkopf und einem langen hölzernen Holm aus dem Koffer. Aus einem an der Pfeife befestigten Beutelchen holte er ein Stück durchsichtiger Materie, die aussah wie Bernstein oder Harz, und legte es in den Pfeifenkopf.
    »Wollen Sie …«, begann T., aber der Zigeuner fiel ihm ins Wort:
    »Keine Sorge, Sie werden nicht vergiftet. Ich muss wissen, was ich wegen des Gendarmen von gestern unternehmen soll, deshalb haben Sie einen eigenen Lord-Vorkoster … Genauer gesagt, einen Baron-Vorkoster.«
    Er zog einen brennenden Zweig aus dem Feuer, hielt ihn an den Pfeifenkopf, nahm einen Zug und reichte die Pfeife mit gebieterischer Geste an T. weiter. Der nahm sie behutsam entgegen und nahm einen Zug von dem dichten, herben Rauch, wobei er sich bemühte, nicht zu tief einzuatmen. Sofort wurde ihm schwindlig und er gab dem Baron die Pfeife zurück.
    »Nun?«, fragte der Baron. »Woran denken Sie gerade?«
    T. öffnete den Mund, um zu antworten, und erkannte plötzlich, dass es keine Antwort gab.
    Sämtliche Gedanken, die eben noch seinen Geist erfüllt hatten, waren zerstoben und verschwunden – es gab nur noch das Knacken der trockenen Äste im Feuer, den Duft des Rauchs und den Wind, der sachte den Rücken kühlte. Eine schwindelerregende Empfindung durchzuckte ihn: als hätte unter seinem Fuß die Sprosse einer Leiter nachgegeben und sein Körper wäre schwerelos geworden.
    T. bekämpfte seinen Schreck mit Willensanstrengung und blickte misstrauisch zum Baron. Der begriff offenbar, was los war – lächelnd nahm er einen weiteren Zug, dann legte er die Pfeife zurück in den Koffer, deutete auf die Puppe, stand auf und entfernte sich gemächlich vom Feuer. Allein zurückgeblieben, starrte T. den Holzgötzen an.
    Er sah aus wie ein hölzerner Pierrot. Eine Puppe von trauriger Gestalt mit eiförmigem Kopf, die Augenbrauen über der Nasenwurzel hochgeschoben (was ihr ein komisch-bekümmertes Aussehen verlieh), und einem rechteckigen beweglichen Mund. Der ovale Körper war schwarz lackiert; auf der Brust waren drei große weiße Pompons aufgemalt, die langen Gliederarme endeten in kleinen Kugeln, die aussahen wie zusammengeballte Fäuste. Von diesen kugelförmigen Fäusten und dem beweglichen Kiefer hingen kurz abgeschnittene Fäden herunter. T. sah deutlich die im Holz steckenden winzigen Metallringe, an denen die Fäden befestigt waren: Offenbar hatte man die Puppe für Vorstellungen in einer Schaubude benutzt.
    Plötzlich geriet die eine Puppenhand in Bewegung, obwohl T. ganz genau sah, dass niemand an dem abgeschnittenen Faden zog. Die Hand hob sich bis zum Kopf und winkte grüßend, dann fiel der rechteckige Mund herab und die Puppe sagte:
    »Comman ssava, Graf?«
    Sie sprach mit derselben Stimme wie der Schatten auf dem Schiff der Fürstin Tarakanowa.
    »Ssava«, erwiderte T.
    »Entschuldigen Sie diesen Aufzug«, sagte die Puppe. »Aber wenn ich einen Zigeuner als Medium genommen hätte, hätten Sie bestimmt gezweifelt, ob alles seine Richtigkeit hat. Jetzt nicht mehr.«
    »Wer sind Sie?«, fragte T.
    Der Holzmund der Puppe stieß ein paar trockene Laute aus, die klangen wie eine Mischung aus Lachen und Klappern.
    »Ich habe mich letztes Mal schon vorgestellt. Ich bin Ihr Schöpfer. Mein Name ist Ariel. Wie es sich für einen Schöpfer gehört, erschaffe ich im Moment Sie und die Welt. Ihre Welt, meine ich.«
    »Ich erinnere mich«, sagte T. »Aber wer sind Sie Ihrem Wesen nach? Sind Sie Gott?«
    »Betrachten Sie mich besser als Engel«, sagte die Puppe. »Das wäre mir lieber.«
    »Sind Sie der gefallene Engel? Der Fürst dieser Welt?«
    Die Puppe brach in ein hölzernes Gelächter aus.
    »Finden Sie nicht, Graf, dass das Wort ›gefallen‹ in Bezug auf den Fürsten dieser Welt unglaublich heuchlerisch klingt? Die Menschen reißen sich ein Bein aus, damit sie bei ihm irgendetwas zu tun bekommen, und dann bezeichnen sie ihn als ›gefallen‹ …«
    T.

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