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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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berichten. Ja, ganz genau.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Vater Warsonofi zu Ihren Diensten.«
    »Sie sind das?«, fragte T. erstaunt. »Man hat mir Ihren Namen genannt. Sie sind es also, zu dem ich unterwegs bin?«
    »Sieht ganz so aus«, bestätigte Warsonofi und spielte mit seinem Revolver.
    »Und wer sind Sie in Wirklichkeit?«
    Warsonofi zeigte ein breites Lächeln.
    »Sie hatten eine interessante Antwort auf diese Frage, Graf. Erinnern Sie sich, Sie haben mir das in Kowrow auf der Straße erklärt. Und wissen Sie was – ich habe Ihnen beinahe geglaubt! Das hat mich eine schlaflose Nacht gekostet. Gebe Gott, dass Ihnen so etwas erspart bleibt …«
    Einer der Mönche stand über Knopfs Leiche gebeugt, wobei er mit seinem herabbaumelnden Kreuz Knopfs Jacke streifte, und durchsuchte ihn. Als er die Geldbörse fand, zog er das Geld heraus und steckte es rasch in seine Kutte. Die übrigen Mönche machten sich daran, die anderen Toten zu durchsuchen – sie gingen geschickt und umsichtig ans Werk, bemüht, sich nicht mit Blut zu beflecken.
    »Was wollen Sie mit mir anfangen?«, fragte T. »Mich umbringen?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Warsonofi gekränkt. »Als ob ich dazu fähig wäre! Das wird Pereswet besorgen.«
    Er wies mit dem Kopf auf einen der Mönche, einen großen, kräftigen Burschen mit farblosen Augen und einem sorgsam gestutzten Bärtchen.
    Pereswet grinste und nahm sein Mauser-Gewehr von der Schulter. Er richtete es auf T., zielte mit Bedacht auf seinen Kopf und schwenkte den Lauf plötzlich in Richtung der Ziegelbaracke.
    Auf der halb verfallenen Mauer saß ein winziges fuchsrotes Kätzchen. Als es die Menschen erblickte, miaute es kläglich und marschierte mit nervös erhobenem Schwanz über die moosbewachsenen Ziegel davon, als ob es ahnte, dass diese Begegnung nichts Gutes verhieß.
    Pereswet schoss und das Kätzchen war augenblicklich verschwunden – mit solcher Wucht hatte die Kugel es weggeschleudert.
    Die Mönche brachen in Gelächter aus. Warsonofi grinste ebenfalls.
    »Pereswet feilt seine Kugeln mit einem Kreuz zurecht«, sagte er, »um sie vom Bösen zu reinigen. Das ist besonders gut für den Kampf gegen Fleisch. Die Kugel dringt nicht nur ein, sie reißt auch ein tüchtiges Stück heraus, so dass man mit einem Schuss ein ziemlich großes Volumen bewältigen kann.«
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte T.
    »Wie alle Leute unserer Profession«, erwiderte Warsonofi, »nur das eine: Ihre unsterbliche Seele!«
    Die Mönche fingen an zu wiehern wie ein ganzes Pferdegespann.
    T. hob die Augen zum Himmel. Er war niedrig und grau, aber keine Erhabenheit, keine Ruhe war darin zu erkennen – fahle Wolken, tiefhängend und kalt, zogen über ihn hin und erinnerten an herbstliche Gemüsegärten, an Missernten und an gramerfülltes, jahrhundertelanges Elend. Er hatte kein Verlangen mehr, den Kampf fortzusetzen (»Mit wem auch«, dachte T., »und wozu?«). In seinem Herzen war nur eine große Müdigkeit.
    »Ich suche Freiheit und Ruhe! Ich will mich vergessen und einschlafen!« 35
    Lermontows Worte, die für T. immer seltsam dissonant geklungen hatten, bekamen plötzlich einen Sinn, weil sie in Paare zerfielen.
    »Natürlich. Die Ruhe ist der Schlaf. Und die Freiheit … die Freiheit ist im Vergessen! Alles, alles vergessen, selbst den Gedanken an das Vergessen. Das ist die Freiheit …«
    Pereswet aber hatte keine Eile zu schießen.
    Etwas Merkwürdiges war im Gange, als ob die Mönche sich zu einer Vorstellung bereitmachten. Zunächst nahmen sie zwei runde Seidenfächer aus der Tasche mit dem Kreuz und befestigten sie an langen Stielen, so dass die Fächer aussahen wie riesige Fliegenklatschen. Auf die Seide war ein seltsames Zeichen gemalt, eine Art verschnörkeltes, von einem Zirkelbogen durchschnittenes »M«. Die Mönche hoben die Fächer und begannen, sie gleichmäßig in T.s Richtung zu schwenken, als wollten sie irgendwelche Wellen auf ihn einfließen lassen; das hätte vermutlich lächerlich ausgesehen, wären nicht die Leichen ringsum gewesen.
    Zwei andere Mönche hatten unterdessen aus derselben Tasche ein gläsern klirrendes Netz gezogen, es ausgebreitet und kamen damit nun auf T. zu. Das Netz war brüchig und von dunkelgrauer Farbe; es klirrte, weil an den Maschen Quarzkristalle befestigt waren, schön anzusehen und offenbar sehr scharf. T. erinnerte sich, dass er ein solches Netz auch auf dem Schiff der Fürstin Tarakanowa gesehen hatte, neben den toten Mönchen im

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