Tolstois Albtraum - Roman
nachdenklich den Bart. »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen … Nein, ganz bestimmt nicht … Sie haben mich ganz durcheinandergebracht. Au, zum Teufel!«
»Was ist denn?« Knopf war zusammengezuckt.
»Ich habe mich in die Hand geschnitten … Warten Sie … Aber wenn das stimmt und man mich wirklich mesmerisiert hat, dann heißt das doch, dass ich in Wahrheit ein ganz normaler lebendiger Mensch bin?«
»Ja, natürlich.«
»Und das können Sie auch beweisen?«
Knopf fing an zu lachen.
»Sie sind aber wirklich ziemlich durcheinander! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der einen Beweis dafür verlangt, dass er ein lebendiger Mensch ist. Die meisten Menschen, Graf, halten das für selbstverständlich … Sie haben sich doch gerade eben an Ihrem Bart geschnitten. Reicht Ihnen das nicht als Beweis?«
»Stimmt … Und wie geht es jetzt weiter?«
»Sie sollten nach Jasnaja Poljana zurückkehren«, erwiderte Knopf. »Wieder zu sich kommen, über alles nachdenken. Ich werde mich glücklich schätzen, Ihnen persönlich Geleitschutz zu geben. Und was dieses goldene Blatt angeht: Das müssen wir zu den Akten nehmen. Es kommt nicht alle Tage vor, dass einem einfachen Polizeiagenten der geheime Name des Hermaphroditen mit dem Katzenkopf in die Hände fällt.«
Knopf drehte den Anhänger an der Kette hin und her. T. schwieg finster.
»Was ist?«, fragte Knopf. »Glauben Sie immer noch, ich will Sie übers Ohr hauen? Oder warten Sie vielleicht auf Nachricht von Ihrem Ariel? Na kommen Sie, wir rufen ihn, soll er zwischen uns vermitteln …«
Knopf sprang von der Bank hoch, legte die Hände trichterförmig an den Mund, tänzelte auf der Stelle und rief:
»Ariel! Ariel!«
»Es reicht, hören Sie auf mit dem Theater«, sagte T. mürrisch.
»Ariel!«, rief Knopf noch lauter. »Geh zum Teufel, Ariel, hörst du? Strafe mich für diese Worte, wenn du existierst!«
»Na schön«, sagte T. »Wie Sie wollen. Kehren wir nach Jasnaja Poljana zurück.«
»Ausgezeichnet!«, strahlte Knopf. »Ich freue mich, dass Sie imstande sind, vernünftigen Argumenten Folge zu leisten. Glauben Sie mir, ungeachtet all unserer … hm … Missverständnisse war und bin ich stolz auf die Bekanntschaft mit einem so hervorragenden Menschen …«
Er lüpfte höflich seine Melone, beugte die Knie und neigte den Kopf, wobei er einen Moment lang aussah wie ein Mime: Nur Kopf und Rumpf bewegten sich, während der Hut, den er an der Krempe festhielt, genau an der Stelle in der Luft hängenblieb wie zu Anfang der Verbeugung. Es war eine clowneske und zugleich elegante Bewegung, und so schwer es T. auch ums Herz war, musste er doch lächeln. Knopf zog eine Breguet aus der Tasche, ließ sie melodiös klingeln und sagte:
»Wenn wir den Acht-Uhr-Zug erreichen wollen, müssen wir uns beeilen. Ich warne Sie, ich gehe ziemlich schn…«
Unvermittelt erklang ein Schuss.
Einen Sekundenbruchteil vorher hatte T. eine Kugel auf einen Körper klatschen gehört. Knopf schwankte, blickte an T. vorbei, richtete dann seine gebrochenen Augen auf ihn und sackte zusammen.
T. drehte sich um.
Von den Trümmern der Ziegelbaracke her kamen schnellen Schrittes ein paar Männer auf ihn zu, allen voran ein mittelgroßer Geistlicher mit einem Nagant-Revolver in der Hand. Ihm folgten in großer Eile fünf Mönche mit Gewehren – zwei hielten die Waffe gezückt, die Übrigen waren mit Gepäck beladen und sahen aus wie Soldaten auf dem Marsch: Der eine Mönch trug ein zusammengelegtes Armeezelt aus heller Plane, der andere zwei Projektionsscheinwerfer und der dritte schleppte eine geräumige, mit einem Kreuz bestickte Tasche und einen Phonographen mit vernickeltem Trichter.
T. erkannte den Geistlichen. Es war der alte Jude mit der Warze auf der Nase, den er in Kowrow auf der Straße angesprochen hatte, nur dass er jetzt nicht mehr sonderlich nach einem alten Juden aussah, weil er keinen Kaftan mehr trug, sondern eine schwarze Kutte. Die Warze war offenbar auch nicht echt gewesen, jedenfalls war sie nicht mehr da.
Der Geistliche trat zu Knopfs Leiche, zog ihm das goldene Amulett aus der Hand, musterte es aufmerksam und steckte es in die Innentasche seiner Kutte.
»Dieser Gegenstand gehört in Verwahrung beim Oberprokurator«, sagte er, »und nicht in unbefugte Hände.«
»Sind Sie die Leute von Pobedonoszew?«
Der Geistliche lächelte.
»Wir pflegen uns in der Regel nicht vorzustellen«, antwortete er. »Aber Sie werden wohl kaum der Presse von unserer Begegnung
Weitere Kostenlose Bücher