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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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spielen. Und solange Sie deren Stimmen gestatten, in Ihrem Kopf zu erklingen, solange Sie in der Welt leben, die sie vorzeichnen, existieren Sie nur für deren kleinlichen Profit.«
    »Aber warum tun sie das?«
    »Das sagte ich schon. Es ist Kommerz. Kommerzielle Seelenzucht im kleinen Maßstab.«
    »Das ist zynisch«, sagte Dostojewski fröstelnd. »Aber dieser Blick auf die Dinge ist nicht neu, Graf. Ja, nicht wir haben die Welt erschaffen. Und ja, es gibt Teufel auf der Welt. Aber es gibt auch Engel. Sie haben jetzt lediglich den Schöpfer mit einem neuen Namen benannt und durchblicken lassen, dass Sie keine hohe Meinung von ihm haben. Aber ist es nicht völlig egal, wie wir ihn nennen – Ariel oder Zebaot? Die Hauptsache ist doch, er erschafft die Welt und uns. Was haben Sie also eigentlich entdeckt?«
    »Eine wichtige Nuance«, sagte T. »Auch wenn er die Welt und uns erschafft, sind wir doch in der Lage, das auch selbst zu tun, wenn wir wollen. Ich weiß das ganz sicher.«
    »Woher?«
    T. gab keine Antwort, aber sein Gesicht erschien Dostojewski mit einem Mal reglos und streng, wie aus Grabstein-Granit gemeißelt. Dostojewski verspürte eine seltsame Erregung.
    »Haben Sie … Haben Sie das im Jenseits erfahren? Nachdem man Sie am Bootshaus umgebracht hatte?«
    T. nickte.
    »Und sind Sie … auferstanden?«
    »Ich würde es nicht so feierlich ausdrücken«, sagte T. »Ohnehin habe ich, wenn man dem verstorbenen Knopf glauben kann, Probleme mit der kirchlichen Dogmatik. Sagen wir, ich bin in die Welt zurückgekehrt. Und jetzt bin ich wirklich ein Wesen von anderer Natur als Sie oder diese armen Teufel, die Sie wegen ihrer Wurst umbringen.«
    »Von anderer Natur? Aber worin liegt der Unterschied?«
    »Der liegt darin«, antwortete T., »dass ich mich jetzt selbst erschaffe. Als Ariel mich zum Verschwinden verurteilte, bin ich in einen Dämmerzustand gesunken, in ein graues Nichts, über das ich nichts sagen kann. Möglicherweise hätte ich mich einfach darin aufgelöst, aber der Wunsch, nach Optina Pustyn zu gelangen, war zu stark. Und jetzt handle ich aus der Ewigkeit heraus. Mein Körper scheint sich hier zu befinden, doch das ist lediglich der Augenschein. Meine wahre Natur, mein wahres Wesen, ist dort geblieben.«
    »Wo – dort?«
    »In einer Art Traumzustand«, erwiderte T., »aber auf einer viel tieferen Ebene. Eigentlich müsste ich sagen, ich träume, von Ihnen, von dieser Stadt und von allem Übrigen. Manchmal träume ich auch von Ariel, das ist wohl das Unangenehmste. Aber jetzt ist auch er nur ein Traum.«
    »Und wie erschaffen Sie sich selbst und die Welt?«
    »Mit einem weißen Handschuh.«
    »Mit was für einem weißem Handschuh?«
    »Den habe ich mir ganz zu Anfang aus dem Nichts geschaffen. Der Handschuh war der erste Anhaltspunkt, faktisch eine reine Annahme, aber ohne ihn hätte es nicht funktioniert. Ich begann, die Welt als Text zu erschaffen, weil ich mit irgendetwas beginnen musste. Aber jetzt sehe ich den Handschuh gar nicht mehr, auch nicht die Feder oder das Papier. Alles geschieht ganz spontan und von selbst.«
    »Oh!« Dostojewski schüttelte den Kopf. »Ich sehe, Sie sind in den mystischen Anarchismus abgerutscht. Darüber habe ich mal einen guten Aufsatz geschrieben … Aber na schön, und was haben Sie als Nächstes erschaffen?«
    »Den Styx.«
    »Warum das denn?«
    »Damit ich ihn überqueren und in die Welt zurückkehren konnte.«
    »Wozu? Sie haben doch selbst gesagt, dass diese Welt hässlich und absurd ist.«
    »Aber hier ist noch etwas, was ich unbedingt finden muss.«
    »Was denn?«
    »Optina Pustyn«, sagte T. und blickte Dostojewski vielsagend an. »Kommen Ihnen diese Worte bekannt vor?«
    »Ja«, erwiderte Dostojewski. »Aber ich kann mich im Moment nicht so genau erinnern.«
    »Und ›Optina Pustyn Solowjow‹?«, fragte T.
    Dostojewski schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Jetzt weiß ich es wieder! Tatsächlich, ich habe seinerzeit in der Wohnung von Konstantin Sergejewitsch Pobedonoszew einen Vortrag gehalten, in dem ich mich über die Sitzung einer mystischen Geheimgesellschaft lustig machte, bei der ich zufällig einmal war. Den Text habe ich leider nicht mehr. Der Vortrag hieß genau so: ›Optina Pustyn Solowjow‹. Das ist bloß ein Wortspiel, wissen Sie. Die Geheimgesellschaft hieß nur ›Optina Pustyn‹.«
    »Aber was ist das denn eigentlich?«, fragte T., die Fäuste geballt vor Aufregung.
    »Das weiß eben keiner. Anscheinend ist das einfach

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