Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
ein Schluck ist. Von mir aus.«
    Dostojewski trank den Wodka aus und wartete, dass das Dosimeter Ruhe gab.
    »Nun, aufrichtiger Freund«, sagte er, »sagen Sie mir jetzt die ganze Wahrheit.«
    »Die wird Ihnen nicht gefallen, Fjodor Michailowitsch.« T. winkte ab. »Den meisten Menschen gefällt sie nicht, das kenne ich von mir selbst.«
    »Versuchen Sie es doch.«
    »Und was soll ich Ihnen erzählen?«
    »Fangen Sie einfach an.«
    »Na schön.« T. war einverstanden.
    Er stand auf, ging zu einem Stapel Papier an der Wand, nahm die speckige Nummer von Snob und hielt Dostojewski den Umschlag entgegen.
    »Das sind nicht Sie auf dem Umschlag, Fjodor Michailowitsch. Das ist Iggy Lo. Mit vollem Namen Ignacio López de Loyola, der Begründer des Jesuitenordens. Die Nummer ist zu seinem Geburtstag erschienen. Den Bart haben Sie ihm mit spitzem Bleistift dazugemalt. Härchen für Härchen. In mühevoller Kleinarbeit.«
    Dostojewski war peinlich berührt.
    »Muss das sein?«, fragte er leise. »Gleich so unter die Gürtellinie …«
    »Und Ihre ganzen ›Todesregeln‹ standen gar nicht in der Zeitschrift, Fjodor Michailowitsch«, fuhr T. erbarmungslos fort. »Die haben Sie alle selbst hineingeschrieben, auch mit Bleistift, in der Reklamebeilage, da gibt es viel freien Platz. Hat lange gedauert, was? Diese zierlichen Druckbuchstaben … Und die fette Überschrift. Dafür haben Sie bestimmt einen ganzen Bleistift verbraucht.«
    Dostojewski wurde rot, aber dann sprang er über seinen Schatten und grinste.
    »Danke für die Wahrheit«, sagte er ironisch. »Geschieht mir ganz recht. Das war schön dumm von mir. Aber ich muss ja selbst lachen – glauben Sie, ich habe das ernst gemeint? Es ist langweilig hier. Den ganzen Tag sitzt man auf der Lauer, bewacht die heiligen Grenzen – da kommt man schon mal auf dumme Ideen. Außer toten Seelen ist hier keiner, vor dem man sich schämen muss.«
    »Tote Seelen?«, fragte T. nach. »Wer ist das denn?«
    »Da drüben liegen sie.« Dostojewski wies mit dem Kopf in Richtung der Mauer mit dem Graffito. »Die haben Wodka und Wurst. Nur davon leben wir.«
    »Aber wie können Sie sie unterscheiden, Fjodor Michailowitsch? Die, die eine tote Seele haben?«
    Dostojewski nahm seine Brille von der Ablage.
    »Das ist ein patristisches Visier«, sagte er. »Wenn jemand eine tote Seele hat, sieht man um ihn herum eine gelbe Aureole.«
    »Und warum heißen sie so – tote Seelen?«
    »Es sind gewissermaßen die Seelen, aus denen der Herr sich selbst zurückgezogen hat. Besser gesagt, nicht der Herr hat sich zurückgezogen, sondern die Seele hat sich selbst ausgestoßen. In einer solchen Seele ist das göttliche Licht erloschen, daher kann man ihr das Mana heraussaugen. Das ist keine Sünde. Schauen Sie mal nach drüben, auf die andere Seite der Uferstraße, da gehen welche her …«
    T. musterte die sperrige Brille, setzte sie dann auf und spähte aus der Grube.
    »Ja«, sagte er, nachdem er Ausschau gehalten hatte. »Stimmt. Lauter Zombies. Gibt es da keinen einzigen Lebendigen?«
    »Woher sollen die denn kommen?«, erwiderte Dostojewski. »Seit ich hier sitze, Graf, sind Sie der Erste.«
    »Wie funktioniert diese Brille?«
    »Sie hat doppelte Gläser und dazwischen ist heiliges Wasser. Wenn verunreinigtes Licht durch diese Gläser fällt, werden die Schmutzpartikel durch den Heiligen Geist sichtbar und verströmen ein peinliches uringelbes Leuchten.«
    T. richtete die schwarzen Linsen auf Dostojewski und stieß einen Pfiff aus.
    »Na, sieh mal an …«
    »Was ist los?«
    »Um Sie herum ist auch … so ein Leuchten, Fjodor Michailowitsch.«
    »Belieben Sie zu scherzen?«
    »Ganz und gar nicht«, sagte T. »Haben Sie sich mal durch die Brille im Spiegel betrachtet?«
    Dostojewski starrte T. an und versuchte zu verstehen, ob er sich über ihn lustig machte oder nicht.
    »Nein«, sagte er schließlich.
    T. hielt ihm die Brille hin. Dostojewski setzte sie auf, wühlte in einem Haufen Gerümpel unter dem Vordach, fischte eine dreieckige Spiegelscherbe heraus, blickte hinein, stöhnte und ließ sich auf die Patronenkiste sinken.
    »Nur keine Angst, Fjodor Michailowitsch«, sagte T., »das bekommen wir schon hin. Wer hat Ihnen die Brille gegeben?«
    »Der heilige Starez Fjodor Kusmitsch«, erwiderte Dostojewski und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Er hat eine ganze Kiste davon.«
    »Kommen Sie her.«
    Dostojewski gehorchte. T. nahm ihm die Brille ab, warf sie zu Boden und trampelte

Weitere Kostenlose Bücher