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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Unheimliches entdeckt. Mit beiden Händen hob er die Axt über den Kopf und rannte in T.s Richtung.
    »Jetzt reicht es!«, dachte T.
    Er passte den richtigen Moment ab, angelte mit der Zehenspitze nach Dostojewskis Jacke, die am Boden lag, und warf sie in die Höhe.
    »Der Leinwandmesser!«, 57 rief er.
    Die Jacke blähte sich in der Luft und legte sich als dunkle Woge über Dostojewski – sie hielt ihn nur einen Moment lang auf, doch in diesem Moment konnte T. in die Hocke gehen. Als Dostojewski sich befreit hatte, ließ er einen furchtbaren Schlag auf T.s Kopf niedersausen, dem dieser – das war sofort klar – unmöglich ausweichen konnte. Unmittelbar vor dem Schlag kniff Dostojewski gewohnheitsmäßig die Augen zusammen, damit sie keine Spritzer abbekämen.
    Die Axt fuhr in etwas Weiches, schwankte und blieb stecken – aber Dostojewski hörte keinen Schädelknochen knacken. Er öffnete die Augen und starrte das Opfer bestürzt an.
    Was er sah, war so unwahrscheinlich, dass das Gehirn sich eine Zeit lang weigerte, das Gesehene als Realität anzuerkennen, und versuchte, die Nervenreize anders zu interpretieren. Doch das war nicht möglich.
    T. hatte die Klinge der Axt zwischen die Hände gepresst und hielt die Spitze nur einen Werschok von seinem Kopf entfernt. Dostojewski versuchte, ihm die Axt zu entreißen, aber die Klinge schien in einen Schraubstock eingespannt.
    »Steckt die Kralle in der Falle, ist der Vogel schon verloren!«, 58 flüsterte T.
    Dostojewski erbleichte.
    »Sie sind wahrhaftig Graf T. …«
    T. blickte Dostojewski unverwandt in die Augen und drehte die Klinge zur Seite, so dass Dostojewski sich ebenfalls zur Seite neigen und die Arme unbequem verrenken musste.
    »Die Situation ist aber zu dumm«, bemerkte Dostojewski. »Ich kann Ihnen die Axt nicht entreißen und Sie … Sie können sie nicht loslassen. Und schlagen können Sie mich auch nicht.«
    T. schob verwundert die Augenbrauen in die Höhe.
    »Warum nicht?«
    »Wie, warum nicht? Weil Sie damit Ihr eigenes Ideal verraten würden.«
    »Pardonnez-moi?«
    »Na, hören Sie mal«, sagte Dostojewski, der vor Anstrengung allmählich rot anlief (er versuchte immer noch, T. zu bezwingen und ihm die Axt zu entreißen). »Der gewaltlose Widerstand gegen das Böse.«
    »Ach, das meinen Sie«, erwiderte T., der ebenfalls dunkelrot anlief. »Ja, das stimmt schon. Nur sind Sie nicht das Böse, Fjodor Michailowitsch. Sie sind das vom Weg abgekommene Gute!«
    Dostojewski konnte gerade noch sehen, wie T.s Fuß in dem leichten wattierten Hausschlappen sich vom Boden löste. Im nächsten Augenblick traf ihn ein gewaltiger Tritt genau in die Mitte seines Bartes, hob ihn in die Höhe und schleuderte ihn in eine samtene, geräuschlose Dunkelheit.
    Als Dostojewski wieder zu sich kam, lag er in der getarnten Grube am Boden. T. hatte es sich ihm gegenüber auf der Patronenkiste bequem gemacht und inspizierte die erbeutete Axt. Als er sah, dass Dostojewski die Augen aufschlug, tippte er mit dem Finger auf die Klinge und sagte:
    » Isch Navertell . Was soll das denn heißen? Never tell vielleicht? Eine Art Pidgin-English?«
    »Das ist Russisch«, antwortete Dostojewski und blickte sich mürrisch um. »Bloß mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Eine Ischewsker Arbeit. Ein Einzelstück, im Katalog gibt es die nicht, das ist eine Spezialanfertigung für mich aus einer Legierung von Damaszener Stahl mit einem silbernen Zigarettenetui. Speziell zum Jubiläum.«
    »Verstehe«, sagte T. und legte die Axt zur Seite.
    »Wie sind Sie hierher geraten?«
    »Ich bin doch auf Ihren Wunsch hin gekommen, Fjodor Michailowitsch«, erwiderte T. leicht verlegen.
    Dostojewski machte große Augen.
    »Auf meinen Wunsch hin? Sie müssen mich verwechseln. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin schrecklich froh und geschmeichelt, aber dass ich den Wunsch geäußert hätte … Warten Sie, warten Sie … Konfuzius?«
    T. nickte.
    »Der aufrichtige Freund, der einem vieles gibt?«, rief Dostojewski und seine Miene hellte sich auf. »Ja, ja, das stimmt. Aber dass Sie, Graf, und noch dazu in höchsteigener Person … Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Und ich bin mit der Axt auf Sie losgegangen, ich Tölpel!«
    Das Surren des Dosimeters erklang und Dostojewski runzelte die Stirn.
    »Ich muss sofort etwas trinken«, sagte er. »Wenigstens einen Schluck.«
    »Eigentlich trinke ich keinen Alkohol«, erwiderte T. und nahm die Flasche. »Aber bei einem solchen Anlass … Und wenn es nur

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