Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
gemacht. [240] Den ersten Wink dazu nahmen Dieselben aus dem Betragen des jungen Fräuleins auf dem Schlachtfelde. Und der Argwohn, welchen Ihro Gnaden daselbst faßten, ward durch gewisse Beobachtungen, welche Sie den Abend noch gemacht hatten, gar merklich bestärkt, sowie auch des nächsten Morgens beim Frühstück. Unterdessen da Dieselben gegen einen Irrtum in vielerlei Sachen gar sehr auf Dero Hut waren, so hatten Sie das Geheimnis ganzer voller vierzehn Tage im stillen mit sich herumgetragen und hatten sich davon bloß durch einen in lächelnde Falten gezogenen Mund, durch Augenwinke, Achselzucken und Kopfschütteln nur so ganz von ferne etwas merken lassen; hatten auch wohl dann und wann so ein Wörtchen fallen lassen, welches Sophien allerdings genug beunruhigte, vor hoch Dero Bruder aber so ganz unbemerkt zur Erde fiel.
Nachdem aber Ihro Gnaden von der Richtigkeit Dero Bemerkungen aufs zuverlässigste überzeugt waren, nahmen Dieselben, als Sie sich eines Morgens mit Dero Herrn Bruder
tête à tête
befanden, die Gelegenheit wahr, ihn in seinen musikalischen Uebungen, ein Lied mit dem Munde zu pfeifen, durch folgende Anrede zu unterbrechen:
»
Mon cher frère!
haben Sie nicht seit einiger Zeit etwas Außerordentliches an
ma Nièce
bemerkt?« – »Wüßte nicht!« antwortete Junker Western. »Sollte dem Mädchen was fehlen?« – »Ja, so meine ich,« antwortete sie, »und zwar etwas von großer Konsequenz.« – »Was? Sie klagt doch wohl über nichts!« schrie Western. »Die Blattern hat sie ja gehabt.« –
»Mon frère,«
versetzte sie, »junge Mädchen, wenn sie gleich die Blattern überstanden haben, sind gleichwohl noch andern und vielleicht noch viel schlimmern Krankheiten ausgesetzt.« Hier fiel ihr Herr Western sehr ernsthaft in die Rede und bat sie, wenn seiner Tochter irgend was fehlte, möchte sie es ihm doch augenblicklich sagen, und fügte hinzu: sie wüßte ja, er liebte seine Tochter mehr als seine eigene Seele, und wie er bis ans Ende der Welt schicken wollte, um ihr den besten Arzt zu verschaffen. – »Nun, nun!« antwortete das gnädige Fräulein mit schalkhaftem Lächeln, »so fürchterlich ist die Krankheit nun wohl nicht; doch glaube ich,
mon cher frère,
Sie sind überzeugt, ich kenne die Welt, und dich versichere Ihnen, ich wäre in meinem Leben nicht ärger getäuscht worden, wenn
ma Nièce
nicht unsterblich verliebt ist.« – »Was, was?« schrie Western ganz zornig, »verliebt! verliebt! ohn' mich zu fragen? Enterben will ich ihr! Aus dem Hause will ich ihr stoßen, wie sie geht und steht, ohne 'nen roten Heller. Hab' ich das vor alle mein' Güte? vor mein' väterliche Liebe? daß sie sich verliebt, ohne mich um mein' [241] väterliche Einwilligung zu bitten!« – »Aber,
mon frère,
« antworteten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, »werden doch Ihr Fräulein Tochter, die Sie mehr lieben als Ihre eigene Seele, nicht aus dem Hause stoßen, bevor Sie wissen, ob Sie die Wahl des Fräuleins billigen oder nicht? Wie wär's nun, wenn sie auf ebendieselbe Person verfallen wäre, die Sie selbst gewünscht hätten,
mon frère?
Dann würden Sie doch nicht böse darüber sein, hoffe ich.« – »Näh, näh!« schrie Western, »wenn's das ist, so wär's ganz was anders. Wenn sie den Mann nimmt, den ich haben will, so mag sie lieben wen sie will, meinethalben!« – »Das heiß' ich sprechen,« antwortete die Schwester, »wie ein Mann von Vernunft! Aber ich glaube, eben der Mann, den sie gewählt hat, würde eben der Mann sein, den
mon frère
für sie wählt. Allen Anspruch auf meine Weltkenntnis gebe ich auf, wenn es nicht so ist; und doch glaube ich,
mon frère
werden gestehen, daß ich die Welt so ziemlich kenne.« – »Nu, siehst du,
ma soeur!
« sagte Western, »will nicht leugnen, daß du so viel hast, als immer 'en ander Weibsbild, und freilich sind sowas Weibersachen. Weißt wohl, daß ich's nicht leiden kann, wenn du von Staatssachen schwätzest; die gehören vor uns, und Haub' und Schürz' sollt'n sich nicht drinn mengen! Aber, komm, komm, wie heißt der Mann?« –
»En sérieux mon frère!«
sagte sie, »Sie können ihn selbst ausfindig machen, wenn Sie belieben. Ihnen, als einem so großen Staatskundigen, kann das nicht schwer sein; dem seinen Verstande, welcher bis in die Kabinette der Prinzen dringt und die verborgenen Springfedern entdecken kann, welche die großen Staatsräder in allen politischen Maschinen von ganz Europa in Umtrieb setzen, dem muß es nur ein
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