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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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von der Liebe machen, möchte ebenso einfältig sein als die Vorstellung, die sich einst ein solcher Blinder, wie man erzählt, von der roten Farbe gemacht hatte. Diese Farbe schien ihm die meiste Aenlichkeit mit dem Tone einer Trompete zu haben; und nach Ihrer Meinung möchte wohl die Liebe viel Gleichheit mit einem Napf voll Fleischbrühe, oder einem saftigen Rindsbraten haben.

Zweites Kapitel.
    Ihro Gnaden, Tante von Western, Charakter. Ihre große Gelehrsamkeit und Weltkenntnis und eine Probe von der großen Scharfsichtigkeit, welche sie durch jene Vorzüge erworben hatte.
     
    Der Leser hat gesehen, wie Herr Western, seine Schwester und Tochter, nebst dem jungen Jones und dem Pfarrer, mit einander nach Hause gingen, woselbst der größeste Teil der Gesellschaft den Abend mit vieler Lust und Fröhlichkeit zubrachte. In der That war Sophie die einzige ernsthafte Person; denn was unsern Jones anlangt, obgleich nunmehr die Liebe unumschränkten Besitz von seinem Herzen genommen hatte, so setzten doch die erfreulichen Gedanken an Herrn Alwerth Genesung, die Gegenwart seiner Geliebten, und einige zärtliche Blicke, die sie von Zeit zu Zeit auf ihn zu werfen sich nicht enthalten konnte, unsern Helden in eine so hohe Stimmung, daß er an der Lustigkeit der übrigen drei teilnahm, und es waren vielleicht so frohe Menschen, als man irgend in der Welt finden konnte.
    Sophie behielt am nächsten Morgen beim Frühstück noch immer ihr ernsthaftes Betragen. Sie begab sich davon früher hinweg als gewöhnlich und verließ ihren Vater und die Tante bei einander. Der Junker gab nicht acht auf die Veränderung an seiner Tochter. Die Wahrheit zu sagen, war er so etwas von einem Staatskundigen [239] und wäre auch zweimal beinahe von der Grafschaft zum Parlamentsgliede erwählt worden; bei alledem aber gab er sich mit dem Beobachten eben nicht ab. Seine Schwester war eine Dame von ganz andrem Schlage. Sie hatte Hofluft geatmet und die Welt gesehen. Daher hatte sie alle die Kenntnisse erworben, welche besagte Welt gewöhnlich zu erteilen pflegt, und verstand sich vollkommen auf Manieren, Gebräuche, Zeremonien und Moden; damit war aber ihr Gelehrsamkeit noch nicht zu Ende. Sie hatte durch Studieren ihren Geist gar merklich aufgeklärt; sie hatte nicht nur alle neuen Dramen, Opern, Oratorien, Musenalmanache und Romane gelesen, worin sie kritische Einsichten zeigte, sondern sie hatte sich auch durch Rapins Geschichte von England, Rollins griechische und römische Historien und noch viele andre französische
Mémoires pour servir à l'Histoire
hindurchgearbeitet. Zu diesen hatte sie noch die meisten Journale, Hefte und Wische über Staatssachen, die seit den letzten zwanzig Jahren geschrieben worden, hinzugefügt. Durch alles dieses hatte sie sich eine nicht geringe Einsicht in die Politik erworben und konnte sehr gelehrt von den Affairen in Europa diskurieren. Sie war überdem noch außerordentlich wohlgeschickt und erfahren in der Lehre von der Liebe und wußte besser als irgend sonst ein Mensch, wer und welche sich gut mit einander ständen, eine Wissenschaft, welche sie sich um so leichter erwarb, weil sie in ihrer Nachjagung durch keine eigene Liebesaffairen aufgehalten oder zerstreut wurde, denn entweder hatte sie keine solchen Triebe, oder es hatte sich keiner darum beworben; welches letzte sehr wahrscheinlich ist, denn ihre mannhafte Person, die eine Länge von ungefähr sechs Fuß hatte, zusammengenommen mit ihrer Manier und mit ihrer Gelehrsamkeit, mochten vielleicht das andre Geschlecht abhalten, sie, ungeachtet ihrer langen Kleidung, für eine wirkliche Dame anzusehen. Da sie unterdessen die Sache wissenschaftlich betrachtet hatte, ob sie gleich niemals bis zur Ausübung gelangt, so kannte sie alle Künste, welche vornehme Damen anwenden, wenn sie gesonnen sind, einem Liebhaber Mut zu machen, oder wenn sie ihre Schwachheiten verhehlen wollen, nebst alle dem langen Register von Lächeln, Liebäugeln, Seitenblicken, Fächerwinken u.s.w., so wie solche dieser Zeit in der Beau-Monde in Brauch und Uebung sind. Summa Summarum, keine Art von Verstellung oder Affektation war ihrer Aufmerksamkeit entwischt; aber die klaren, kunstlosen Wirkungen der unverderbten Natur hatte sie niemals gesehen und also wußte sie davon ungefähr so viel als gar nichts.
    Vermittelst dieser wundervollen Einsicht hatten Ihro Gnaden, Fräulein von Western, um diese Zeit, wie Dieselben nicht anders meinten, eine gewisse Entdeckung in Sophiens Herzen

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