Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
sind, daß Sie die Traktate nicht eher brechen werden, als bis Sie dabei Ihren ungezweifelten Vorteil seh'n.«
[245] Drittes Kapitel.
Enthält zwei Herausforderungen an die Kunstrichter.
Nachdem der Junker mit seiner Schwester die Sache ins reine gebracht hatte, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, war er so ungeduldig, seinen Vorschlag beim Herrn Alwerth anzubringen, daß es seiner Schwester die äußerste Mühe kostete, ihn abzuhalten diesen Herrn noch während seiner Krankheit zu besuchen und dies Gewerbe auszurichten.
Herr Alwerth war um die Zeit, da ihn seine Krankheit überfiel, eingeladen worden, bei Herrn Western zu Mittag zu essen. Er war also nicht so bald aus dem Arreste des Arztes entlassen, als er d'rauf dachte (wie seine Gewohnheit sowohl bei den wichtigsten als unbedeutendsten Dingen war) seine Zusage zu erfüllen.
Während der Zeit, zwischen dem Gespräche im letzten Kapitel und diesem Tage eines feierlichen Gastmahls, hatte Sophie aus verschiedenen dunkeln Anspielungen, die ihrer Tante entfielen, einen Argwohn geschöpft, daß diese einsichtsvolle Dame ihre Leidenschaft für Jones ahnte. Sie entschloß sich daher, diese Veranlassung zu nehmen, alle dergleichen Mutmaßungen zu vernichten, und that zu dem Ende ihrem Betragen einen völligen Zwang an.
Erstlich also bemühte sie sich, ein traurig klopfendes Herz hinter der äußersten Munterkeit in ihrem Thun und Lassen und der größten Fröhlichkeit in ihrem ganzen Wesen zu verbergen. Zweitens richtete sie alle ihre Reden an Herrn Blifil, und that den ganzen Tag nicht, als ob sie den armen Jones bemerkte.
Der Junker war über dies Betragen seiner Tochter so entzückt, daß er die ganze Mahlzeit über kaum einen Bissen aß und fast seine ganze Zeit damit zubrachte, auf Gelegenheiten zu lauern, seiner Schwester durch Blicke und Kopfnicken seinen Beifall zu verstehen zu geben, welche anfangs von dem was sie sah nicht so gänzlich befriedigt war, als ihr Bruder.
Kurz, Sophie übertrieb ihre Rolle dermaßen, daß ihre Tante anfangs darüber stutzte und bei ihrer Nichte einige Verstellung zu mutmaßen begann. Da sie indessen selbst ein Frauenzimmer von großer Kunst war, so schrieb sie auch dieses sehr bald einer weit getriebenen Kunst bei Sophien zu. Sie erinnerte sich der vielen Anspielungen, deren sie sich gegen ihre Nichte über ihre Verliebtheit hatte entfallen lassen, und bildete sich ein, das junge Fräulein habe diesen Weg gewählt, um sie durch eine übertriebene Höflichkeit aus ihrer Meinung herauszuwitzeln; eine Meinung, welche durch die ungemeine Munterkeit, womit das Ganze begleitet ward, gar [246] sehr bestärkt wurde. Wir können hier nicht umhin, anzumerken, daß diese Mutmaßung besser gegründet gewesen wäre, wenn Sophie ungefähr zehn Jahre in der Hofluft gelebt hätte, woselbst junge Damen eine wundersame Fertigkeit erlernen, mit dieser Leidenschaft zu schäkern und zu tändeln, welche in einer zwanzig Meilen weiten Entfernung von der Residenz in Hainen und Wäldern eine höchst ernsthafte Angelegenheit ist.
Die Wahrheit ist, wenn wir den Betrug bei andern entdecken wollen, so kommt es sehr viel darauf an, daß unsre eigene List mit der ihrigen genau in einem Tone gestimmt sei (wenn ich mich dieses musikalischen Kunstworts bedienen darf), denn sehr feine Schälke schießen zuweilen vorbei, weil sie andre für weiser oder, mit andern Worten, für größere Schelme halten, als solche wirklich sind. Da diese Bemerkung so ziemlich aus der Tiefe heraufgeholt ist, so will ich solche durch folgendes Geschichtchen ein wenig illuminieren. Drei Landleute setzten einem Diebe von Wiltshire durch Brentford nach. Der Einfältigste von ihnen riet seinen Gefährten, als er ein Haus erblickte, das die Wiltshirer Herberge zur Aufschrift aushängen hatte, man müßte hineingehen, denn da würden sie, meinte er, ihren Landsmann finden. Der zweite, welcher weiser war, lachte über seine Einfalt; der dritte aber, der noch weiser war, antwortete: »doch, doch! laßt uns hineingehen, denn er wird nicht denken, daß wir ihn für so dumm halten, daß er unter seine eigene Landsleute gehen solle.« Sie gingen also hinein und suchten das Haus durch, und dadurch versäumten sie es, den Dieb einzuholen, der damals nur einen kleinen Vorsprung vor ihnen hatte, und der, wie sie alle wußten, nur nicht daran dachten, nicht lesen konnte.
Der Leser wird mir eine kleine Abschweifung verzeihen, worin in so schätzbares Geheimnis mitgeteilt wird, weil
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