Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
Vom Netzwerk:
Leutnant, und küßte ihn; »Sie sind ein braver junger Mann, und ich liebe Ihren Mut; aber ich fürchte für Ihre Kräfte, denn solch ein Schlag und solch ein Blutverlust muß Sie sehr geschwächt haben, und ob Sie gleich in Ihrem Bette keinen Mangel an Kräften spüren, so möchten Sie es doch nur gar zu sehr merken, wenn Sie ein oder ein paar Gänge mit ihm gemacht hätten. Ich kann's nicht zugeben, daß sie heut abend noch mit ihm hinausgehen; ich hoffe aber, Sie werden uns einholen können, ehe wir noch viele Märsche vor Ihnen voraus haben, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, er soll Ihnen Genugthuung geben, oder der Mann, der Sie beleidigt hat, soll nicht beim Regiment bleiben.«
    »Ich wünschte,« sagte Jones, »es wäre möglich, die Sache noch [46] heute abend abzumachen; da Sie mich darauf gebracht haben, so kann ich nun einmal nicht eher ruhen.«
    »Schlagen Sie sich das aus dem Sinne,« erwiderte der andere. »Ein Aufschub von ein paar Tagen kann nichts verderben. Die Wunden der Ehre sind nicht wie die Wunden des Körpers, welche einen schleunigen Verband erfordern. Sie verlieren nichts dabei, wenn Sie Ihre Genugthuung acht Tage früher oder später nehmen.«
    »Aber wie wär' es,« sagte Jones, »wenn es mit mir schlimmer würde und ich nun an meiner Wunde stürbe?«
    »Nun alsdann,« antwortete der Leutnant, »braucht Ihre Ehre weiter gar keine Rettung! Ich selbst will Ihrem Charakter das gerechte Zeugnis geben, und vor der Welt erklären, daß Sie willens gewesen sind, den Flecken gehörig auszuwischen, wenn Sie wieder besser geworden wären.«
    »Dennoch,« erwiderte Jones, »ist mir bei dem Aufschub nicht wohl zu Mute. Ich fürchte mich fast, es vor Ihnen zu gestehen, denn Sie sind ein Soldat; allein, ob ich gleich meine Jugend so ziemlich wild hingebracht habe, so bin ich doch in meinen ernsthaften Augenblicken und im Grunde meines Herzens wirklich ein Christ.«
    »Das bin ich ebenfalls auch, ich versichere Sie,« sagte der Offizier: »und zwar ein so eifriger Christ, daß ich mich bei Tisch wirklich deswegen über Sie gefreut habe, daß Sie sich der Sache der Religion annahmen; und ich bin fast jetzt wirklich ein wenig böse auf Sie, mein lieber Junker, daß Sie eine Besorgnis äußern, Ihren Glauben vor irgend jemand zu bekennen.«
    »Aber wie schrecklich muß es für einen Menschen sein,« sagte Jones, »der wirklich ein Christ ist, und doch gegen das ausdrückliche Verbot seiner Religion Haß und Rachgier in seinem Herzen hegt? Wie kann ich dies auf einem Krankenbett aushalten, oder wie kann ich mit dem Himmel meine Rechnung machen, solange eine solche Schuld wie diese in meinem Busen wider mich zeugt?«
    »Nun, ich glaube freilich, daß ein solches Verbot vorhanden ist,« sagte der Leutnant; »allein ein Mann von Ehre kann's nicht halten; und ein Mann von Ehre müssen Sie sein, wenn Sie zur Armee gehen wollen. Ich erinnere mich, daß ich einmal diese Gewissensfrage unserem Feldprediger bei einer Bowle Punsch vorgelegt habe, und er gestand mir, daß sie schwer aufzulösen sei; sagte aber, er hoffe daß den Soldaten in diesem einen Falle etwas Nachsicht zu statten kommen möchte. Und sicherlich ist es unsere Pflicht, diese Hoffnung zu haben; denn, wer könnt' es ausstehn, ohne seine unbefleckte Ehre zu leben! Nein, mein lieber Kamerad! sei'n Sie ein guter Christ, solange Sie leben; aber dabei auch ein Mann von [47] Ehre; und lassen Sie niemals etwas auf sich sitzen! Zu einem andern Glauben soll mich weder irgend ein Buch, noch alle Pastoren und Pröpste in der ganzen Welt bereden. Ich habe meine Religion von Herzen lieb, aber meine Ehre ist mir teurer als mein Leben. Es muß ein Irrtum in die Worte des Textes gekommen sein, oder in die Uebersetzung, oder Gott weiß es, wie und wo? Aber, dem sei wie ihm wolle, ein ehrlicher Mann muß es auf die Gefahr ankommen lassen; denn seine Ehre muß er heilig achten. Und damit schlafen Sie diese Nacht nur ganz ruhig; und ich versprech' Ihnen, Sie sollen Gelegenheit bekommen, sich Recht zu schaffen und Ihre Ehre herzustellen.« Hiermit gab er dem Jones einen derben Schmatz, schüttelte ihm die Hand und nahm seinen Abschied.
    Allein, obgleich dem Leutnant selbst seine Art, über seine Ehre und seine Pflichten zu denken, Zufriedenheit genug geben mochte, so wollte solche doch bei seinem Freunde nicht so recht eingreifen. Jones faßte also, nachdem er die Sache in seinen Gedanken bald hierhin geworfen hatte, bald dorthin, endlich eine Entschließung, welche der

Weitere Kostenlose Bücher