Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
mir nicht ein schändlicher, obgleich wenig sündlicher Gedanke aus dem Kopfe gebracht.« – Hier saß der Mann eine kleine Weile in Gedanken und rief darauf aus: »Glauben Sie mir, eine lange Reihe von Jahren hat die Scham über diese Handlung noch nicht aus meinem Gedächtnis verwaschen, und noch werden meine Wangen erröten, indem ich sie erzähle.« – Jones bat, er möchte über alles hinweggehn, dessen Erzählung seinem Herzen wehe thun könnte. – Rebhuhn aber rief ganz andringlich: »O lieber Herr, ich bitte, lassen Sie uns dies doch mit hören! Wahrhaftig! ich möchte das lieber hören, als alles übrige. Ich will das heilige Abendmahl drauf nehmen, daß es von mir kein Mensch wieder erfahren soll.« – Jones war im Begriff, ihm einen derben Verweis zu geben; allein der Fremde verhinderte es, indem er folgendergestalt fortfuhr:
»Ich hatte einen sehr vernünftigen, fleißigen jungen Menschen zum Stubenburschen, welcher, ob er gleich keine große Summen von Hause bekam, sich doch beinahe an vierzig Guineen zusammengespart hatte, welche Summe er, wie ich wußte, in seinem Schreibpulte verschlossen aufbewahrte. Ich nahm daher Gelegenheit, ihm den [113] Schlüssel heimlich aus seinen Beinkleidertaschen zu entwenden, derweil er schlief, und mich auf diese Weise in den Besitz aller seiner Reichtümer zu setzen. Nachdem solches geschehen, steckte ich ihm den Schlüssel wieder in die Taschen und stellte mich, als ob ich schliefe, ob ich gleich kein Auge zuthat, sondern nur im Bette liegen blieb, bis er aufgestanden und zum Gebete gegangen war; eine Uebung, die mir seit langer Zeit schon fremd geworden war.
Furchtsame Diebe geben oft selbst durch eine zu große Vorsicht Anlaß zu einer Entdeckung, welcher die verwegenern zu entgehen wissen. So begab sich's mit mir; denn hätte ich das Schreibpult ganz keck und kühn aufgebrochen, so wäre ich vielleicht selbst seinem Verdachte entgangen; allein, da es klar am Tage lag, daß der, welcher ihn bestohlen, sich seines Schlüssels bemeistert haben müßte, so blieb ihm kein Zweifel, als er zuerst sein Geld vermißte, der Dieb könnte gewiß niemand anders sein, als sein Stubenbursche. Nun war er etwas furchtsam von Natur, und bei weitem nicht so stark am Körper, als ich; auch, glaub' ich, hatte er nicht so viel Herzhaftigkeit. Sonach wagte er's nicht, mir mein Verbrechen unter die Augen zu sagen, aus Furcht, es möchte für ihn noch schlimmere körperliche Folgen haben. Er wendete sich also unmittelbar an den Prorektor, und auf eine eidliche Aussage des Diebstahls und der damit verbundenen Umstände erhielt er sehr leicht einen Verhaftsbefehl gegen einen Menschen, der bereits bei der ganzen Universität in einem so üblen Rufe stand.
Zum Glück für mich schlief ich die folgende Nacht außer dem Kollegio; denn den Tag brachte ich ein Frauenzimmer in einer Chaise nach Whitney, wo wir die ganze Nacht beisammen blieben, und bei unsrer Zurückkunft des nächsten Morgens zu Oxford begegnete mir einer von unsern Nachtvögeln, welcher mir von dem, was mir bevorstand, so viel erzählte, als genug war, um meine Pferde auf einen andern Weg zu lenken.«
»Ich bitte, lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »sagte er Ihnen denn wirklich was von dem Verhaftsbefehle.« – Aber Jones bat den alten Herrn, fortzufahren, ohne auf die unbesonnenen Fragen des Rebhuhn zu achten, welches er that wie folgt:
»Nachdem ich jetzt alle Gedanken hatte fahren lassen, wieder nach Oxford zurückzugehn, war das erste, was sich mir darbot, eine Fahrt nach London. Ich sagte diesen Vorsatz meiner weiblichen Begleiterin, die zwar anfangs Einwendungen machte; sobald ich ihr aber meinen Reichtum vorzeigte, in diese Reise willigte. Wir gingen also querfeld ein, um die Cirencester Heerstraße zu erreichen, und waren so eilig, daß wir den Abend des andern Tages in London anlangten.
[114] Wenn Sie erwägen, an was für einem Orte und in was für einer Gesellschaft ich mich nunmehr befand, so werden Sie, glaube ich, leicht begreifen, daß ich in kurzer Zeit mit der Summe zu Ende kommen mußte, der ich mich so schändlicherweise bemächtigt hatte.
Ich war jetzt in eine weit größere Verlegenheit gesetzt als vorher. Die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens fingen mir an zu mangeln, und was meine dürftigen Umstände noch drückender machte, war, daß meine Geliebte, an der ich jetzt mit Leib und Seele hing, einerlei Not und Elend mit mir teilte. Ein Frauenzimmer, das man liebt, in Mangel und Elend zu sehn, ohne
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