Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
historischen Schriften echte und wahre Arbeit, oder was Sudelei ist und nachgemachtes Pfuscherwerk. In der That hat es das Ansehn, daß in kurzem solche Markstempel höchst nötig werden dürften, weil die günstige Aufnahme, welche zwei oder drei Schriftsteller jüngsthin ihren Werken von dieser Gattung beim Publikum zu gewinnen gewußt haben, vermutlich viele andre aufmuntern wird, sich mit eben dergleichen Arbeiten zu befassen. Daher denn ein großer Schwarm von abgeschmackten Geschichten und ungeheuern Romanen in die Welt gesetzt werden dürfte, wodurch teils die Buchhändler in Armut geraten, teils die Leser einen großen Verlust an Zeit und Sitten werden erleiden müssen. Ja, wodurch oft Aergernis und Verleumdung, zum großen Nachteil des guten Namens mancher redlichen und würdigen Leute, in der Welt verbreitet werden wird.
Nach meiner Ueberzeugung war die Hauptursache, warum der gelehrte Verfasser des Zuschauers jedem seiner Blätter ein griechisches [145] oder lateinisches Motto vorsetzte, solchen Skriblern das Nachahmen zu erschweren, welche, obwohl sie kein ander Talent zur Schriftstellerei haben, als was sie von ihren Schreibmeistern gelernt, dennoch sich ebensowenig schämen und scheuen, sich mit den größten Genies einerlei Rechte und Freiheiten anzumaßen, als ihr teurer Bruder in der Fabel in der Löwenhaut, mit seiner angebornen Stimme zu schreien.
Vermittelst der Erfindung, seinen Blättern ein Motto vorzusetzen, machte er es also einem jeden Manne unthunlich, auf die Keckheit zu verfallen, seine Blätter nachzuahmen, der nicht wenigstens eine Sentenz in den gelehrten Sprachen verstand. Auf eben diese Art nun habe ich mich vor der Nachahmungssucht solcher Leute in Sicherheit gesetzt, welche alles Nachdenkens und Ueberlegens völlig unfähig sind, und deren ganze Gelehrsamkeit kein erträgliches Schulexerzitium hervorzubringen im stande ist.
Meine Meinung ist keineswegs, hierdurch zu verstehen zu geben, als ob das größte Verdienst solcher historischen Werke in diesen Einleitungskapiteln stecken könne; sondern daß, wie am Tage liegt, diese Teile, welche bloß Erzählungen enthalten, die Feder eines Nachahmers weit eher zu mutiger Nachahmung reizen als jene, welche eigenes Denken und Beobachten erfordern. Hiermit verstehe ich solche Nachahmer, als es Rowe von Shakespeare war, oder als Horaz von einigen Römern zu verstehen gibt, die den Cato dadurch nachahmen wollten, daß sie barfuß gingen und saure Gesichter schnitten.
Es ist nicht ohne: gute Geschichten erfinden und solche hübsch erzählen, sind seltene Talente! Und doch habe ich nur wenige Menschen gefunden, die sich ein Bedenken daraus machten, sich beide zuzuschreiben; und wenn wir die Romane, Leben und Meinungen, womit die Welt so reichlich heimgesucht wird, untersuchen, so meine ich, dürfen wir ohne Unbilligkeit schließen, daß die meisten ihrer Verfasser es nicht gewagt haben würden, ihre Zähne (wenn mir hier der Ausdruck erlaubt sein mag) in irgend einer andern Art von Schriftstellerei zu weisen, oder daß sie über einen andern Gegenstand ein Dutzend Perioden hätten aneinanderreihen können.
Scribimus indocti, doctique passim,
kann man mit mehr Wahrheit auf den Geschichts- und Lebensbeschreiber anwenden, als auf irgend eine andere Art von Schriftstellern: denn alle Künste und Wissenschaften (selbst die Kritik nicht ausgenommen) erfordern doch wenigstens einen kleinen Grad von Einsicht und Gelehrsamkeit. Die Versemacherkunst könnte man vielleicht für eine Ausnahme halten; aber dennoch erheischt sie einige Kenntnis der Prosodie und des Silbenmaßes, oder etwas dem Silbenmaße ähnliches; dahingegen [146] nichts weiter nötig ist, um Romane, Liebes- und Lebensgeschichten in die Welt zu setzen, als Papier, Feder und Tinte, nebst der natürlichen Handfertigkeit, sich dieser Gerätschaften zu bedienen. Und daß dieses die Meinung der Verfasser selbst sei, meine ich, lasse sich aus ihren Werken ganz deutlich ersehen, und auch ihrer Leser Meinung muß es sein, wenn sie anders wirklich eine Meinung dabei haben.
Hieraus müssen wir die allgemeine Verachtung herleiten, womit die Welt, welche allemal von der Mehrheit aufs Ganze schließt, alle historischen Schriftsteller belegt hat, die ihren Stoff nicht aus den öffentlichen Zeitregistern entlehnen. Und die Furcht vor dieser Verachtung ist es, welche uns so sorgfältig den Namen Roman vermeiden läßt; eine Benennung, mit welcher wir uns außerdem recht gut hätten begnügen
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