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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Frankreich geht der listige Gauner gekleidet wie ein Stutzer, und in den nordischen Ländern wie ein ungekämmter Lümmel. Die menschliche Natur aber ist überall und allenthalben ebendieselbe, überall und allenthalben ein würdiger Gegenstand des Abscheus und der Verachtung.
    Ich meinesteils ging durch alle diese Nationen, wie Sie vielleicht durch einen gedrängten Haufen bei einem öffentlichen Spektakel gegangen sind. Ich schob mich mit beiden Ellbogen hindurch, hielt mit einer Hand meine Nase zu und verteidigte mit der andern meine Taschen, ohne weder links noch rechts mit jemand ein Wort zu sprechen, derweil ich mich durchdrängte, um zu sehen, was ich sehen wollte. Welches dann, so angenehm es auch an und für sich selbst sein mochte, mir dennoch kaum die Beschwerden belohnte, die mir die Gesellschaft verursachte.«
    »Fanden Sie denn unter den Nationen, unter welchen Sie reisten, keine, die Ihnen weniger beschwerlich war, als die übrigen?« fragte Jones. – »Allerdings,« versetzte der alte Mann. »Die Türken waren mir weit erträglicher als die Christen. Denn das sind Menschen vom tiefsten Stillschweigen und belästigen keinen Fremden mit ihren Fragen. Von Zeit zu Zeit werfen sie ihm einen kurzen Fluch an [140] den Hals, oder spucken ihm ins Gesicht, wenn er durch die Gassen geht; aber damit lassen sie's dann auch gut sein, und man kann ein Jahrhundert in ihrem Lande leben, ohne ein Dutzend Worte von ihnen zu hören. Aber von allen Völkern, die ich jemals gesehen habe, bewahre mich Gott vor den Franzmännern! Mit ihrem verdammten Geschnatter und mit ihren Höflichkeiten und ihrem
Faire l'honneur de la nation envers les Etrangers
(wie sie's zu nennen belieben, in der That aber mit ihrer eignen lieben Eitelkeit zu prahlen) sind sie so lästig, daß ich tausendmal lieber mein ganzes Leben unter den Hottentotten zubringen, als wieder einen Fuß nach Paris setzen möchte. Ein unsauberes Volk sind die Hottentotten, wahr, aber ihre Unsauberkeit ist meistens nur äußerlich. In Frankreich hingegen und bei einigen andern Nationen, die ich nicht nennen will, steckt der Unflat innerlich und macht sie meiner Vernunft weit stinkender, als der Unflat der Hottentotten sie meiner Nase macht.«
    »Hiermit, mein Herr, habe ich die Geschichte meines Lebens zu Ende gebracht, denn alle die übrigen Jahre, welche ich hier in der Einsamkeit gelebt habe, enthalten gar keine Veränderung, womit ich Sie unterhalten könnte, und in gewissem Betracht machen solche nur einen einzigen Tag aus. Ich habe so vollkommen abgesondert von der Welt gelebt, daß ich schwerlich in den Thebaischen Wüsten einer unumschränkteren Einsamkeit hätte genießen können, als hier, mitten in diesem volkreichen Lande. Da ich keine Landgüter besitze, so plagt mich kein Pächter und kein Verwalter; meine Leibrente wird mir ziem lich pünktlich ausbezahlt, wie ich's freilich mit Billigkeit erwarten kann, weil sie gegen das gerechnet, worauf ich Verzicht gethan habe, allerdings nur klein ist. Besuche nehm' ich nicht an, und die alte Frau, welche mein Haus in Ordnung hält, weiß, daß ihre Stelle platterdings davon abhängt, daß sie mir die Mühe erspart, alle Dinge einzukaufen, welche mir nötig sind, daß sie mich mit keinen Haushaltungsgeschäften behellige und ihre Zunge still halte, wenn ich ihr so nahe bin, daß ich sie hören könnte. Da ich niemals anders als zur Nachtzeit spazieren gehe, so bin ich in dieser wilden, unwirtbaren Gegend so ziemlich dagegen gesichert, Gesellschaft anzutreffen. Zufälligerweise bin ich einigen wenigen Personen begegnet und habe sie herzlich erschrocken nach Hause geschickt, weil sie mich wegen meiner sonderbaren Gestalt und Kleidung für ein Gespenst oder einen Kobold hielten. Jedoch der Zufall dieser Nacht beweist, daß ich auch nicht einmal hier vor der Bosheit der Menschen sicher sein kann. Denn ohne Ihren Beistand hätten sie mich nicht nur bestohlen, sondern höchst wahrscheinlicherweise auch ermordet.«
    Jones dankte dem Fremden für die Mühe, die er sich genommen [141] hatte, ihm seine Geschichte zu erzählen, und bezeigte darauf einige Verwunderung, wie er's in einem solchen Einsiedlerleben solange hätte aushalten können. »Sie haben wohl recht,« sagte er, »dabei über den Mangel an Abwechslung zu klagen. Ich kann wirklich nicht begreifen, womit Sie einen so großen Teil Ihrer Zeit haben ausfüllen oder vielmehr töten können.«
    »Es wundert mich ganz und gar nicht,« antwortete der andre, »daß

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